Schwerpunkt-Analyse // Politische Resilienz gegen Einflussnahme
Wie eine Amateur-Agentin die SPD-Mecklenburg-Vorpommern infiltrierte.
Im Schwerpunkt widmet sich Lagebild Sicherheit den Themen, welche besondere Aufmerksamkeit verdienen. In Kooperation berichten der Norddeutsche Rundfunk (NDR) und Lagebild Sicherheit über einen Versuch, die SPD-Mecklenburg-Vorpommern pro-russisch zu infiltrieren. Der Versuch zeigt die Komplexität hybrider Kriegsführung, ihrer Akteure und den Status der Resilienz der Politik gegen das Phänomen.
Von Dr. Christian Hübenthal, Herausgeber Lagebild Sicherheit, in Recherchekooperation mit dem NDR.
Der Begriff „Hybride Kriegsführung“ ist medial hochpräsent, doch gleichzeitig ist er auch unscharf – Cyberangriffe, Desinformation, Propaganda und geheimdienstliches Wirken überschneiden sich hier ständig. Lagebild Sicherheit begleitet das Thema bereits seit der Gründung, da wir hier einen Schwerpunkt künftiger Konfliktlinien sehen. Am Wirken einer möglicherweise selbsternannten „Agentin“ in der mecklenburgischen SPD zeigt sich exemplarisch, wie diffus die Gefahr ist und wie sorg- und hilflos beispielsweise die SPD in Mecklenburg-Vorpommern mit dieser Gefahr umgeht.
So schaffte es zuletzt eine gebürtige Armenierin mit dem Namen Gayane Kirakosjan (Jahrgang 1967), die sich vermutlich einfach selbst zur „Agentin Putins“ ernannt hat. Im Jahr 2017 wurde sie Mitglied der SPD, zuvor hatte sie eine kurze Mitgliedschaft in der CDU beendet. Kirakosjans Karriere in der SPD beeindruckt: 2019 wurde sie Kandidatin zur Stadtvertretung Schwerin, 2020 wechselte Sie in den Ortsverein der Ministerpräsidentin Manuela Schwesig, 2021 wurde sie Delegierte zum Bundesparteitag der SPD und kam sogleich auf Platz 27 der SPD-Landesliste zur Landtagswahl. Die SPD gewann 34 Sitze. Kirakosjan war die nächste Nachrückerin. Hätte sie nicht nach Recherchen des NDR Ihre Kandidatur zurückgezogen, säße sie nun seit April dieses Jahres als gewählte Abgeordnete im Landtag. Ein Einzug in den Schweriner Landtag hätte ihr erheblichen Informationszugang und Immunität verschafft. In der Zwischenzeit vermittelte sie mehrfach TV-Interviews für das russische und belarussische Staatsfernsehen, probierte Reisen nach Russland mit Politikern zu organisieren und postete auf Facebook und Instagram russische Propaganda. Seit Recherchen und Anfragen des NDR ist Kirakosjan im April 2022 spurlos verschwunden.
Qualifizierte Warnungen wurden von der SPD ignoriert
Interessant ist dieser Fall, weil er die einfachen Wege offenlegt, mit denen Parteien aktuell selbst von Amateuren infiltriert werden können. Und der Fall zeigt, wie groß die Ignoranz gegenüber dem Thema ist. So gab es in der SPD klare Warnungen vor Gayane Kirakosjan. Ein ehemaliger Landtagsabgeordneter und Berufssoldat berichtete direkt an die Ministerpräsidentin: Kirakosjan verhalte sich verdächtig und nutze gemeinhin bekannte geheimdienstliche Mittel des Kontaktaufbaus. Dazu zählt beispielsweise, bezahlte Reisen zu organisieren. Bei derartigen Reisen wird oft eine Vorteilsnahme kreiert, es werden Bilder gemacht und kompromittierendes Material gesammelt. Im Zweifel ist die Ansprache für einen Nachrichtendienst im Umfeld derartiger Eitelkeitsbefriedigung außerdem schlicht einfacher.
Die Bundeswehr und der MAD warnen ihre Soldatinnen und Soldaten vor derartigen Annäherungsversuchen und fragen Aufenthalte und Kontakte zu den entsprechenden Ländern und Kontakte mit derartigen Personen beispielsweise in der einfachen Sicherheitsüberprüfung ab. Die Warnungen des Landtagsabgeordneten vor exakt solchen Annäherungsversuchen wurden dagegen von der Ministerpräsidentin Schwesig ignoriert. Das wiederum wirft drei wesentliche Fragen über die Resilienz der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommerns gegenüber fremder Einflussnahme auf.
War Kirakosjan eine (selbsternannte) Agentin und wurden Informationen von ihr durch Nachrichtendienste abgeschöpft?
Nach Recherchen des NDR nutzte Gayne Kirakosian mehrere Namen parallel in verschiedenen Vereinen und der SPD: Dr. Diana Werk, Gayane Werk und Gayane Kirakosjan. Es gibt weiter keinerlei Anhaltspunkte, wie Kirakosjan über mehrere Jahre hinweg einen Lebensunterhalt verdient hätte. Einem Beruf ging sie nicht nach, gleichzeitig stellte sie auf Bildern einen guten Lebensstandard zur Schau. Nach eigenen Aussagen hielt sie sich mehrfach länger in Armenien auf und studierte Rechtswissenschaften an einer Fernuniversität in Russland. Gegenüber einigen Gesprächspartnern gab sie an, für die russische Botschaft tätig zu sein. Die Botschaft dementiert dies. Konkret sind weiter Handlungen Kirakosjans zugunsten Russlands und Belarus durch den NDR dokumentiert: Innerhalb ihrer SPD-Zeit vermittelte sie 2021 einen deutschen Unternehmer an TV SWESDA zum Interview. Der TV-Sender wird vom russischen Verteidigungsministerium finanziert. Es ging um das Thema Nord Stream 2. Interviews vermittelte sie auch an den russischen Sender RT Deutsch. Einem anderen SPD-Politiker bot Kirakosjan ein Interview mit dem belarussischen Staatsversehen an. Der Politiker lehnte ab. Auch Reisen bot sie anderen Politikern kann. Auf Facebook postete Kirakosjan pro-russische Propaganda.
Letztlich kann nur vermutet werden, ob Kirakosjan direkte Verbindungen zu russischen, belarussischen oder armenischen Nachrichtendiensten hatte. Ihre mangelnde Professionalität legt nahe, dass sie keine direkt von einem Nachrichtendienst gesteuerte Agentin gewesen ist. Mindestens hat sie aber auf Eigeninitiative versucht, für Russland Einfluss zu nehmen. Das Phänomen selbsternannter „Geheimagenten“, welche sich proaktiv Nachrichtendiensten anbieten, ist keine absolute Seltenheit. Häufig sind diese Personen für gezielte nachrichtendienstliche Tätigkeit vollkommen ungeeignet. Bis zu einem gewissen Grad können sie für Nachrichtendienste dennoch nützlich sein und werden nach eigenem Ermessen der Dienste bei Bedarf „abgeschöpft“. Sie werden also instrumentalisiert und erhalten in diesen Fällen Zuwendungen und Aufmerksamkeit. Vorliegend ist daher festzustellen, dass Kirakosjan zumindest eigenmächtig für Russland agitierte. Sie pflegte valide Verbindungen zu staatlichen russischen und belarussischen Staats- und Propagandasendern. Lose Verbindungen zur russischen Regierung und deren Behörden sind damit belegt und machen weitere Verbindungen zumindest nicht unwahrscheinlich. Für die SPD sollte sie trotz dieser offen zur Schau getragenen Tatsachen Landtagsabgeordnete werden.
Wie nahe kam Kirakosjan der Ministerpräsidentin Manuela Schwesig und wie kam sie in so kurzer Zeit auf die Landesliste der SPD?
Der Ortsverein ist die kleinste reguläre Organisationseinheit in der SPD. Damit liegt nahe, dass ein Zugang zur Ministerpräsidentin für Kirakosjan zumindest in gewissem Umfang bestand. Bilder belegen mehrere physische Treffen zwischen Schwesig und Kirakosjan.
Kirakosjan (links) und Schwesig auf einer Veranstaltung der SPD. Auf mehreren Bildern sind Kirakosjan und Schwesig gemeinsam zu sehen.
Unerklärlich ist, wie Kirakosjan so schnell auf einem Landeslistenplatz landen konnte. Regelmäßig ist der Platz auf einer Landesliste parteiintern umkämpft. Immerhin bedeutet der Einzug in den Landtag eine Vergütung, Ansehen, Einfluss und Zugang zu weiteren politischen Ämtern. Damit stellt sich die Frage, wie es einer Dame mit offen zur Schau getragenem derartig unreflektiertem Russlandbezug, gebrochenem Deutsch, ohne nachvollziehbare berufliche Tätigkeit und mit mehreren Namen gelang, innerhalb kürzester Zeit einen der begehrten Plätze auf einer Landesliste zu erhalten. Die einzig logische Antwort ist, dass Kirakosjan innerhalb der SPD Mecklenburg-Vorpommern Fürsprecher mit eigenen Interessen hatte. Für den Landeslistenplatz vorgeschlagen wurde Kirakosjan von der „Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratische Frauen“.
Warum wurden Warnungen zu der Personalie Kirakosjan ignoriert?
Hierzu äußerten sich weder Ministerpräsidentin Manuela Schwesig, noch sonstige Sprecher der SPD in Mecklenburg-Vorpommern konkret. Dem NDR wurde auf Anfrage geantwortet, man habe bereits alle notwendigen Informationen an den NDR kommuniziert: So habe man Kirakosjan ohnehin kaum wahrgenommen. Die vom NDR recherchierten Bilder belegen das Gegenteil. Belegt sind weiter Warnungen, welche mehrfach an Ministerpräsidentin Schwesig und ihr direktes Umfeld kommuniziert wurden. Diesen wurde jedoch keine Beachtung geschenkt. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund fragwürdig, dass der Verfassungsschutz explizite Warnungen ausspricht: Hinterbänkler sind regelmäßig ein interessantes Ziel für Nachrichtendienste. Sie haben weniger zu verlieren, laufen unter dem Radar der öffentlichen Aufmerksamkeit, kümmern sich weniger professionell um ihre digitale Kommunikation und haben dennoch einen validen Zugang zu Informationen. Manchmal erhalten sie als Teilnehmer größerer Verteilerkreise auch potentiell kompromittierendes Material über höhergestellte Personen. Außerdem können sich unbemerkt in deren Umfeld aufhalten und so selbst Informationen sammeln.
Die notwendige Sorgfalt im Umgang mit Einflussnahme ist nicht gegeben
Zusammenfassend bleibt festzustellen: Im direkten Umfeld der Ministerpräsidentin positionierte sich eine pro-russische Person unter den Namen Kirakosjan, Werk und Dr. Werk. Sie agitierte offen pro-russisch und vermittelte mehrfach Kontakte zu TV-Sendern in Russland und Belarus. Obwohl die Spitze der SPD Mecklenburg-Vorpommern auf diesen Sachverhalt mehrfach hingewiesen wurde, erhielt Kirakosjan mit Unterstützung der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen einen Platz auf der Landesliste der SPD Mecklenburg-Vorpommern. Die berechtigen Warnungen vor Kirakosjan wurden ignoriert. Die Person Kirakosjan ist nicht mehr auffindbar. Auch das Innenministerium Mecklenburg-Vorpommerns hatte von dem Fall offenbar keine Kenntnis, obwohl die Aufgaben des Landesverfassungsschutzes genau in dieser Art Gefahrenabwehr bestanden hätten. Der NDR hat schon im März 2022 den Verfassungsschutz und das BfV auf den Fall hingewiesen. Aus Gründen des Datenschutzes konnte von dieser Seite jedoch keine weitere Auskunft gegeben werden.
Die Antworten auf diese Fragen führen auch bei sehr zurückhaltender Betrachtung zu dem Schluss, dass die SPD in Mecklenburg-Vorpommern die notwendige Sorgfalt im Umgang mit Infiltration und hybrider Kriegsführung selbst nach der ersten Invasion der Krim und den offenen Kriegsvorbereitungen Russlands außer Acht lies. Die SPD Mecklenburg-Vorpommern antwortete auf eine erneute Anfrage des NDR, in einem persönlichen Gespräch mit dem NDR habe Manuela Schwesig habe man bereits alles gesagt. Außerdem sei Kirakosjan inzwischen aus der SPD ausgetreten. Weitere Erklärungen wurden nicht gegeben. Der Fall Kirakosjan zeigt somit deutlich: Im Umgang mit hybridem Wirken hat mindestens die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern ein Kompetenzproblem.
Diese Analyse ist auf Basis von Recherchen des NDR-Investigativ-Journalisten Frank Breuer entstanden. Wir bedanken uns für das kollegiale Vertrauen. Hier finden Sie den aktuellen Beitrag des NDR zum Thema.
In der wöchentlichen Ausgabe erhalten Sie kostenlos das vollständige Lagebild der Sicherheit.
Melden Sie sich jetzt an.
-
Schwerpunkt-Analysen-Archiv von Lagebild Sicherheit
- 24. Juli 2025 Warum Russland Desinformation gegen den Westen einsetzt.
- 24. Juli 2025 Literatur-Analyse als Krisendetektor
- 24. Juli 2025 KI- und Drohnentechnologie – Die Grundlagenkonzepte des Krieges werden sich verändern
- 24. Juli 2025 Die Logik softwarezentrierter Rüstung