KI- und Drohnentechnologie – Die Grundlagenkonzepte des Krieges werden sich verändern
Schwerpunkt-Analyse // Dimension Luft im Wandel
Krieg ist seit der Verbreitung des Geldes nicht zuletzt eine Frage der Finanzkraft. Es müssen schlicht die Kosten wie Sold, Truppenversorgung und Waffen bezahlt werden. Die nächste Herausforderung jeder Kriegspartei ist die Aushebung geeigneter Kräfte. Seit Erschließung der Dimension Luft ist die Überlegenheit hier ein weiterer kritischer Faktor geworden, der sich durch Drohnen und KI verändern wird. Auf die folgenden drei ineinandergreifenden Herausforderungen müssen die NATO und ihre Verbündeten daher neue Antworten finden.
Diese Analyse von Dr. Christian Hübenthal erschien auf der Plattform Europäische Sicherheit und Technik.
In allen künftigen Konflikten muss Luftüberlegenheit hergestellt werden
Überlegenheit in der Dimension Luft ist das zentrale Element, um auch die Dimensionen Land und See zu beherrschen. Das bedeutet, dass eigene Operationen zu Land, Luft und Wasser nicht durch gegnerische Luftstreitkräfte gestört werden können. Nachdem bis in die 2000er-Jahre Flugzeuge und Hubschrauber die Luftüberlegenheit ausübten, kamen insbesondere bei den Einsätzen in Afghanistan die ersten Drohnen vom Typ MQ-1 Predator und MQ-9 Reaper erfolgreich zum Einsatz. Westliche Militärs profitierten in diesen Einsätzen davon, dass ihre Gegner in Afghanistan nicht über eine moderne Flugabwehr verfügten. Die wenigen vorhandenen Flugabwehrraketen vom Typ Stinger 1 stellten schon im Jahr 2001 nach Angaben der Führung der U.S. Air Force keine wesentliche Gefahr mehr dar. Die Freund-Feind-Kennung der Stinger konnten die Taliban aufgrund mangelnder Ausbildung nicht ausbauen. Für einen Kämpfer der Taliban war eine Drohne damit ein praktisch nicht bekämpfbares Ziel. Gleichzeitig verfügten die Taliban nicht über Luft-Boden-Systeme. Sie waren zu teuer und zu komplex, als dass sie über den Schwarzmarkt hätten beschafft werden können.
In der Ukraine ist die Situation aber vollkommen anders, da es sich nicht um einen asymmetrischen Konflikt handelt. Gegenwärtig wird die Luftüberlegenheit zunehmend durch staatliche Akteure wie China, Russland und den Iran herausgefordert. Zum einen werden Flugabwehrsysteme nicht nur günstiger und verfügbarer, sondern besitzen – nicht zuletzt durch schnelle Updates der zugehörigen Software – sogar verbesserte Fähigkeiten.
Zum anderen können auch Akteure ohne die notwendige Infrastruktur für den Betrieb einer klassischen Luftwaffe oder Heeresfliegertruppe durch Drohnentechnologie bald schon in die Lage versetzt werden, unterschiedliche Operationen aus der Luft durchzuführen.
Aserbaidschan zeigte im Bergkarabach-Konflikt im Jahr 2023 eindrucksvoll, wie ein Land mit zwölf veralteten Mehrzweckkampfflugzeugen vom Typ MiG 29 und elf Erdkampflugzeugen vom Typ Su-25 durch den „ergänzenden“ Einsatz von Bayraktar-Drohnen die armenische Armee innerhalb weniger Tage aus der Luft besiegen konnte.
Die Antwort der NATO und der westlichen Welt darauf kann nur lauten, das technologische Wettrennen aufzunehmen und für sich zu entscheiden.
Auf das Konzept von Masse im Rahmen der neuen Art landgreifender Operationen muss eine Antwort gefunden werden
Zum zweiten Angriff Russlands auf die Ukraine mobilisierte die russische Armee schon im Jahr 2021 laut US-Berichten 175.000 Soldaten und Söldner an der Grenze zur Ukraine. Bis zum 24. Februar 2022 wuchs diese Zahl noch weiter an. Auch wenn Russland den Angriff eine Spezialoperation nannte, war dies ganz offensichtlich nicht der Fall. Es handelte sich vielmehr um die Rückkehr einer klassischen Kriegsführung mit masseverfügbaren militärischen Kräften. Dies sollte sich auch in der Folge bestätigen: Die Ukrainer nennen das bis heute übliche operative Vorgehen der Russen im Gefecht „Fleischwolf-Taktik“. Damit gemeint ist die in Russland niemals aufgegebene Taktik, den Gegner durch Masse in Angriffswellen psychologisch und psychisch zu zermürben und seine Munitionsvorräte schlicht zu erschöpfen. Die USA schätzten im Dezember 2023 die russischen Verluste auf rund 300.000 Mann. Putin sprach im Juni 2024 vor russischen Truppen von einem Einsatz von 700.000 Soldaten in der Ukraine, wobei die gesamte russische Armee auf eine Stärke von ca. 1,5 Millionen Kräften geschätzt wird.
Die russische Armee hat also offensichtlich das Konzept der Masse erhalten. Sie zwingt die Ukraine und die westliche Welt, auf diese Bedrohung zu reagieren. China hat die „Fleischwolf-Taktik“ in jüngerer Vergangenheit zwar nirgends im Einsatz demonstriert, es gibt aber kaum Gründe, die einen Einsatz mit den drei Millionen Soldaten der Volksbefreiungsarmee ausschließen würden. Bis zum 100. Geburtstag der Volksrepublik im Jahr 2049 soll China die weltweit führende militärische Macht sein.
Die Reaktion des Westens auf einen weltweiten Konflikt, in dem massive Kräfte eingesetzt werden, muss neu vorbereitet werden. Da das Heer regelmäßig die Hauptlast an Gefallenen und Verwundeten trägt, ist hier der Nutzen unbemannter Systeme wohl am höchsten. Von der Minenräumung über die Verteilung von Nachschub und den Transport schwerer Ausrüstung über Close Air Support bis zum tatsächlichen militärischen Vorstoß können Nutzenpotenziale realisiert werden. Auch im Nah- und Nächstbereich können sie im Heer wertvolle Unterstützung leisten. Während begleitende Drohnen, bei Eurofighter, F-35 II und FCAS, von industrieller Seite bereits Zielbilder waren und sind, ist eine ebenbürtige Taktik im Heer noch nicht erkennbar vorhanden. Beim deutsch-französischen Projekt Main Ground Combat Systemwurden die unbemannten Fahrzeuge sogar aus dem Konzept innerhalb der letzten Jahre entfernt.
Potenziell könnte die Kampfkraft, auch kleinerer Gruppen, um ein Vielfaches erhöht werden. Dadurch stiege allerdings die Koordination für den Gruppenführer zu einer praktisch unlösbaren Komplexität. Dies gilt, wenn die Vielzahl an Unmanned Aerial Vehicles von jeweils einem oder gar mehreren Soldaten gesteuert werden müssen. Künstliche Intelligenz (KI) ist inzwischen unstreitig in der Lage, Bewegung im Feld zu erlernen und sogar weiterzuentwickeln, sich um die Kampfgruppe zu organisieren und die menschlichen Eingriffsnotwendigkeiten auf ein Minimum zu reduzieren. KI und Drohnen werden in Zukunft immer mehr Hand in Hand gehen. Die KI wird insbesondere notwendig sein, weil Elektronische Kampfführung dem Einsatz von Drohnen mit einer Fernsteuerung schnell Grenzen setzen kann. Die anfänglich auch im Ukrainekrieg eingesetzte Bayraktar-Drohne wurde auf diese Art von russischen Kräften bereits erheblich in ihrer Effektivität eingeschränkt. Außerdem würde eine jeweils durch einen Piloten gesteuerte Drohne nicht den notwendigen Skalierungs- und Multiplikationseffekt bringen, um Masse entgegenzuwirken.
Im einem Einsatzszenario mit intelligenten autonomen Systemen würden Aufklärungsdrohnen dem Gruppenführer melden, dass hinter einem Objekt Ziele identifiziert wurden. Die einzige Entscheidung, die der Gruppenführer noch zu treffen hat: Ziele bekämpfen oder nicht. Das Lagebild würde per KI selbstständig erstellt, indem sie der Gruppe vorausfliegen und die Positionen passend wechseln, um umfassend aufzuklären.
Wirkt die Gruppe selbst auf den Gegner, kann ein Versorgungsroboter am Boden eigenständig Munition an die Kampflinie transportieren. Auf dem Rückweg können die gleichen modularen Roboter unterstützen, Verwundete abzutransportieren. Dieses Beispiel ist ein Zukunftsszenario, jedoch einer sehr nahen Zukunft, wie Marc Wietfeld, Gründer von ARX Robotics und ehemals selbst Offizier in den Kampftruppen der Bundeswehr, erklärt: „Autonomiefähige unbemannte Systeme haben das Potenzial, in allen Domänen für Personal und Material als Multiplikator in den NATO-Streitkräften zu dienen. Der Einsatz ist sinnvoll vom besseren Training bis zur aktiven Unterstützung im Gefecht. Wir bauen unsere Systeme bereits modular, damit wir immer ein möglichst breites Spektrum abdecken können.“
Der Gründer des US-Software- und Drohnenherstellers Shield AI spricht sogar von 10.000 Drohnen, die von einem Soldaten gesteuert werden könnten. Ob diese Vision mit Substanz hinterlegt werden kann, bleibt offen. Immerhin gibt es Kooperationsgespräche mit Rheinmetall. Eine dagegen recht greifbare Umsetzung intelligent gesteuerter Schwärme verfolgt das Unternehmen Swarmer. Das Unternehmen aus Delaware setzt auf die Steuerung von „Affordable Mass“ durch KI. Im System des KI-Start-ups organisieren und positionieren sich bis zu 200 Drohnen selbstständig. Der Mensch gibt lediglich den Befehl zum Angriff. Erste Erprobungen im Kampfeinsatz sind nach eigenen Angaben vollzogen worden.
Konservativ betrachtet könnte man all dem entgegenhalten, dass die Technologie nie in wirklich allen Belangen unterstützen könne und dass der Infanterist auf den letzten 100 Metern so agil und anpassungsfähig ist, wie kein System es je werden könne. Selbst diese technologie-pessimistische Betrachtungsweise schließt jedoch die Prognose umfangreicher autonomer Unterstützung des Infanteristen keineswegs aus. Florian Seibel, Gründer und CEO des deutschen Drohnenherstellers Quantum Systems, sagt dazu: „Letztendlich geht es beim Drohnen-Einsatz um Daten. Während der Infanterist vorrückt, kann er keinen Controller bedienen. Also muss die Drohne ihm die Arbeit des Fliegens und der Bildauswertung abnehmen und ihm –möglichst verständlich – aufbereitete Daten liefern, die er in diesem Moment zu seiner Missionserfüllung braucht. Das ist die Künstliche Intelligenz, die wir bereits in der Ukraine testen und in Zukunft immer stärker sehen werden.”
Und schon aus einer ganz praktischen Erwägung kann der Weg an intelligenter Drohnentechnologie nicht vorbeiführen, um Masse aufzubauen: Westliche Demokratien sind kulturell schlicht nicht mehr darauf eingestellt, Millionen Soldaten in eine Armee zu berufen. Selbst unter ethischen Gesichtspunkten gibt es wenig Gegenargumente: Wie soll ein Abgeordneter des Deutschen Bundestages, per Eid dem Wohl des Deutschen Volkes verpflichtet, also auch dem Staatsbürger in Uniform, einem Einsatz menschlicher Soldaten zustimmen, wenn einen Großteil der potenziellen Last Maschinen tragen können?
Das Konzept der Masse muss mit einem finanziell akzeptablen Aufwand durchführbar sein
Masse muss so günstig verfügbar sein, dass auch ein Abnutzungsszenario wie derzeit in der Ukraine finanziell möglich ist. In den vergangenen Jahrzehnten wurden die Waffensysteme der großen Rüstungskonzerne fähiger, komplexer, aber auch teurer. So kostet ein Leopard 2-Panzer aktuell neun bis 15 Millionen Euro pro Stück, ein Eurofighter rund 130 Millionen Euro. Für die Beschaffung der 35 Stück F-35 durch die Bundeswehr wurden 8,3 Milliarden Euro aus dem sogenannten Sondervermögen eingeplant. Für die Beschaffung von vier Fregatten F126 sind rund 5,27 Milliarden Euro durch veranschlagt, was das Projekt zum größten Schiffbauprojekt in der Geschichte der Bundeswehr macht. Auch auf der anderen Seite steigen die Kosten. Der russische Panzer T-90 ist bereits nach dem Konzept der Masse geplant und kostet trotzdem zwischen 2,5 und 3,5 Millionen Euro pro Stück. Unter den klassischen, großen und komplexen Systemen wird auch die billige Massenware teuer.
Solange sie einem Menschen Schutz bieten muss, ist dies auch logisch.
Denn auf der anderen Seite steigt die Zahl günstiger und effektiver Abwehrsysteme und Drohnen weltweit an. In der Ukraine wird dies erneut deutlich: Eine Javelin FGM-148 kostet aktuell ca. 200.000 US-Dollar, jeder Schuss wird von der U.S. Army mit 100.000 Dollar beziffert. Zerstört also eine Javelin einen T-90, so ist dies im Mittel ein Verlust von drei Millionen Euro für Russland, jedoch maximal ein Zehntel für die Ukraine und ihre Verbündeten. Betrachtet man das Verlustverhältnis zwischen günstigen Abwehrsystemen und komplexen Systemen der Dimensionen See und Luft, ist die Rechnung nochmals ungleich vorteilhafter für den Anwender kleiner und günstiger Systeme. 10.000-Euro-Drohnen sind in der Lage, Drei-Millionen-Euro-Panzer zu zerstören. Ukrainische Seedrohnen zerstörten das 65 Millionen US-Dollar teure Patrouillenboot „Sergei Kotow“ der russischen Schwarzmeerflotte und der Seezielflugkörper Neptun (Kosten ca. 500.000 US-Dollar) zuvor die „Moskwa“. Nach Angaben des ukrainischen Geheimdienstes HUR hat Russlands Marine Verluste in Höhe von 464 Millionen Euro allein durch Drohnenangriffe erlitten. Nur mit diesem Kostenverhältnis konnte die Ukraine den Krieg mit Russland bisher offenhalten.
Schaffen es unbemannte Systeme, das Vielfache an finanziellen Schäden beim Gegner hervorzurufen, so ist die eigene Cost-to-Kill-Ratio schlicht besser und der Gegner wird finanziell abgenutzt. Gleichzeitig arbeitet Russland (unter Einsatz von 5,9 Prozent seines BIP) parallel daran, seine Massen an Menschen durch günstige technologische Lösungen zu ergänzen. Die jüngst angeschobene Produktion der „Drei-Tonnen-Gleitbombe“ beweist, dass Russland auch vorhandenes Material in Masse aufwerten kann und will.
Für den Westen gibt es momentan nur eine naheliegende und umsetzbare Reaktion: Die Investitionen in autonome Systeme und KI massiv zu erhöhen, um möglichst günstig viel Abschreckung durch Masse und finanzielle Durchhaltefähigkeit aufzubauen. Die zunächst teure Investition in Technologie wird sich dabei langfristig durch Skaleneffekte und die Schonung von Menschenleben auszahlen. Diese Einschätzung bestätigt Prof. Dr. Christian Schultz (Technische Hochschule Wildau). Der ehemalige Fallschirmjäger und Einsatzveteran baut derzeit eine „Forschungsgruppe Security, Business and Technology“ auf, in welcher Sicherheitsfragen durch Technologieentwicklung aus Start-ups heraus beantwortet werden.
Aus seiner Sicht besteht in Deutschland insbesondere eine Herausforderung im Transfer von Forschung zu Start-ups und KMU, damit eine dort skalierbare Lösung entsteht. „Die Gründung eines Tech-Start-Up mit den Schwerpunkten zivile und militärische Sicherheit unterscheidet sich in vielen wesentlichen Punkten von konventionellen Gründungen für B2B und B2C-Märkte. Wir müssen früh die Verbindungen zu den staatlichen Anwendern und der Industrie schaffen. Nur so können wir Souveränität in den kommenden Schlüsseltechnologien für Europa erreichen. Das zahlt sich langfristig immer aus“, so Schultz.
Zusammenfassung
Die westlichen Demokratien müssen sich mit neuen Antworten auf alte Konzepte des Krieges einstellen. Günstige Masse hat im Krieg immer wieder gezeigt, dass sie effektiv ist und den Gegner finanziell, psychisch und physisch abnutzt. Daher erscheint es logisch, die Exponierung des Menschen im Gefecht der Zukunft möglichst gering zu halten und stattdessen Technologie zu nutzen. Das Potentzial wird gerade in der Ukraine erschlossen und entwickelt sich in kurzen Zyklen. Das technologische Wettrennen um die beste KI und in Masse günstig produzierbare Drohnen könnte ein entscheidender Faktor werden, um gegenüber Ländern wie China, Russland und dem Iran Hürden für einen Konflikt aufzubauen. Wenn es schlicht teuer wird, Krieg zu führen, wird er unattraktiver. Der Westen kann das Konzept der Abschreckung durch (finanzielle) Abnutzung nur technologisch gewinnen. Eine Armee ohne die Fähigkeit, umfassend mit und gegen Drohnen in allen Dimensionen zu operieren, wird keine Abschreckung für Länder darstellen können, welche mit dem Konzept der Masse operieren.
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