Marie-Agnes Strack-Zimmermann: „Wir registrieren, dass Deutschlands Tun und Handeln in Moskau besonders beobachtet wird.”
Kalenderwoche 17 // Auslandsperspektive
Für Lagebild Sicherheit geben die führenden Köpfe der deutschen Sicherheitspolitik Leserinnen und Lesern ihr persönliches Lagebild der Sicherheitspolitik. Sie erklären, welche Herausforderung der Sicherheitspolitik aus ihrer Sicht jetzt dringend wird. In dieser Woche spricht die FDP-Verteidigungsexpertin und Vorsitzende des Verteidigungsausschusses Marie-Agens Strack-Zimmermann über die Krise in der Ukraine und was sie als Verteidigungsministerin als erstes getan hätte.
Lagebild Sicherheit: Sehr geehrte Frau Strack-Zimmermann. Sie waren eine hoch gehandelte Kandidatin für das Amt der Verteidigungsministerin. War es für Sie eine große Enttäuschung, nicht dieses Amt zu bekommen?
Ich habe die sehr große Ehre, in dieser Wahlperiode den Verteidigungsausschuss als Vorsitzende führen zu dürfen. Damit verbunden ist eine große Verantwortung. Diese Aufgabe habe ich als überzeugte Parlamentarierin mit Freude angenommen. Wahrlich kein Grund enttäuscht zu sein. Ich halte im Übrigen Christine Lambrecht für eine sehr gute Wahl als Verteidigungsministerin.
Lagebild Sicherheit: Nehmen wir einmal an, Sie wären Verteidigungsministerin geworden. Was wären ihre ersten beiden Handlungen gewesen?
Ich hätte Gespräche mit und Reisen zur Truppe angesetzt. In der Politik – insbesondere in der Verteidigungspolitik – ist es extrem wichtig, zuzuhören und sich persönlich ein Bild von der Lage vor Ort zu machen. Wer die Bundeswehr verstehen will, muss mit den Soldatinnen und Soldaten sprechen.
Lagebild Sicherheit: Die Krise in der Ukraine zeigt deutlich, dass Deutschland ein Problem mit seiner militärischen und außenpolitischen Aufstellung insgesamt hat. “5000 Helme” – das ist international nicht gut angekommen, Polen hat Deutschland sogar vorgeworfen, man könne sich auf die Deutschen nicht verlassen. Kann das verlorene Vertrauen der östlichen Anrainerstaaten zurückgewonnen werden?
Die Kommunikation zu den 5.000 gelieferten Helmen war ausbaufähig. Es ging darum, dass die Ukraine ohne Nennung von Stückzahlen um Helme gebeten hatte. Die 5.000 sind solche, die die Bundeswehr sofort entbehren konnte. Ich denke, niemand geht davon aus, dass diese Helme an sich den Unterschied ausmachen, aber sie sind ein kleiner Baustein eines größeren Bildes. Deutschland unterstützt die Ukraine seit langer Zeit auf unterschiedlichen Ebenen, unter anderem mit medizinischer Versorgung, Ausbildungshilfe, bilateraler Entwicklungszusammenarbeit, Berufsbildung, Energiepartnerschaften, mit Finanzkrediten, polizeilicher Zusammenarbeit und humanitärer Hilfe. Insgesamt mit 1,83 Milliarden Euro. Absehbar auch mit einer EU Military Advise and Training Mission. Deutschland hat sich klar positioniert und auch gegenüber Russland Sanktionen angekündigt, wenn Moskau die Situation weiter eskaliert. Wir registrieren, dass Deutschlands Tun und Handeln in Moskau besonders beobachtet wird im Vergleich zu unseren Partner- und den Nachbarstaaten.
Deutschland ist ein verlässlicher Partner und ist engagiert an der enhanced forward presence zum Schutz der Außengrenze der NATO beteiligt. Wir suchen engagiert den Austausch mit unseren östlichen Bündnispartnern. Ich glaube allerdings, dass manche Diskussion, die hierzulande über die NATO und die nukleare Teilhabe geführt wurde, uns Glaubwürdigkeit gekostet hat. Ich weiß aber, dass Deutschland in diesen Staaten ein hohes Ansehen genießt und bin davon überzeugt, dass man darauf aufbauend auch wieder mehr Vertrauen schaffen kann.
Lagebild Sicherheit: Halten Sie die aktuelle Situation auch für einen Testfall für mögliche weitere russische Agitationen in anderen Staaten ehemaligen Sowjetunion? Möglicherweise in Staaten, die uns weniger nahe liegen und deshalb noch einfacher zu okkupieren sind?
Es gehört leider dazu, dass der Kreml eine solche ernste Krise, in der sich Millionen von Menschen mit dem Leben bedroht sehen, als Machtprobe einsetzt und sich ein Stück weit an einer Machtdemonstration versucht. Putin möchte der Welt beweisen, dass Russland nach wie vor eine Weltmacht ist. Deshalb sucht er gezielt die Konfrontation mit dem Westen – insbesondere der EU und den USA. Von den Staaten der ehemaligen Sowjetunion hat die Ukraine nach den baltischen Staaten, die sowohl der EU als auch der NATO angehören, die größte Nähe zum Westen. Sollte der Westen dort nicht entschlossen und geeint reagieren, würde Moskau daraus sicher seine eigenen Schlüsse ziehen.
Lagebild Sicherheit: Immer wieder wird die Frage nach Waffenlieferungen in die Ukraine gestellt. Roderich Kiesewetter sagte sogar, es sei geschichtsvergessen keine Waffen an die Ukraine zu liefern und bezog sich auf das Versagen der Appeasement Policy. Die Briten liefern derzeit Waffen. Was denken Sie über den Ausschluss deutscher Waffenlieferungen?
Ich glaube nicht, dass schwere Waffen das einzige sind, was die Ukraine gerade braucht. Deutschland unterstützt auf vielseitige Weise und steht immer bereit zu vermitteln, damit diese Waffen eben nie eingesetzt werden müssen. Ich halte es übrigens für geschichtsvergessen anzunehmen, dass Bilder von deutschen Waffensystemen, die an die russische Grenze verlegt werden, keine zusätzliche Eskalation darstellen.
Lagebild Sicherheit: In der allgemeinen Debatte führen manche an, Russland habe in seiner Geschichte noch nie Westeuropa angegriffen, vielmehr erweitere sich die Nato in Richtung Russland. Was entgegnen Sie dem?
Die NATO ist ein Verteidigungsbündnis, dessen Ziel es ist, mögliche Angreifer durch seine gemeinsame militärische Stärke abzuschrecken. Ich sehe nicht, wie die Erweiterung eines solchen Bündnisses bedrohlich wirken kann, wenn man nicht in Erwägung zieht, seine Nachbarstaaten anzugreifen. Außerdem geht es nicht nur um den Schutz von Westeuropa. Es geht darum, die territoriale Integrität aller Staaten zu respektieren und für sie einzustehen.
Lagebild Sicherheit: Ein anderes Thema: Eine Reform der Bundeswehr ist lange überfällig. Nun soll wieder eine neue Reform gestartet werden. Die alten Reformpläne landen in der Schublade. Wie bewerten Sie die Reformfähigkeit der Bundeswehr und des BMVg?
Die Papiere, die die ehemalige Ministerin im vergangenen Sommer vorgelegt hat, beinhalten in erster Linie Prüfaufträge an die Bundeswehr und das BMVg, aber noch keine Reformpläne. Es ist nachvollziehbar, dass diese ersten Überlegungen jetzt nicht unreflektiert von der neuen Regierung übernommen werden. Wir haben im Koalitionsvertrag eine kritische Bestandsaufnahme der Bundeswehr vereinbart, um die Effizienz und die Einsatzbereitschaft zu steigern, und diese wird jetzt durchgeführt. Wir haben alle in den vergangenen Jahren erlebt, dass es einen Veränderungsbedarf in der Organisation und den Strukturen gibt.
Die Bundeswehr selbst weist eine hohe Reformfähigkeit auf. Insbesondere die Soldatinnen und Soldaten stehen Veränderungen offen gegenüber und sind Spezialisten darin, sich einer neuen Situation schnell anzupassen. Gleichzeitig sind das Verteidigungsministerium und sein nachgeordneter Bereich ein enorm großer und komplexer Apparat. Hinzukommt, dass Veränderungen an Struktur und Auftrag der Streitkräfte auch zumeist mit veränderten Anforderungen an Material, Logistik und Standorte einhergehen. Deshalb sind richtige Reformen kein kurzfristiges Mittel, das sofort wirkt. Wir müssen dem Prozess etwas Zeit geben, auch wenn sich die Sicherheitslage um uns herum rasant entwickelt.
Lagebild Sicherheit: Ein weiteres Thema jeder Verteidigungsministerin ist die Frage der Identifikation der deutschen mit ihrer Parlamentsarmee. Die Afghanistan-Rückkehr hat diese Debatte wieder entflammt. Was ist zu tun, um mehr Bindung zwischen Bundeswehr und Gesellschaft zu schaffen?
Es gibt kein Nebeneinander zwischen Bundeswehr und Gesellschaft, die Bundeswehr ist integraler Bestandteil unserer Gesellschaft. Zu beobachten ist allerdings, dass nach dem Aussetzen der Wehrpflicht sehr viel weniger Menschen mit der Bundeswehr in direkten Kontakt gekommen sind. Die sicherheitspolitische Lage war auch so, dass sie bei den Diskussionen am Küchentisch nicht mehr vorkommen musste. Letzteres hat sich in den vergangenen Jahren wieder geändert – doch der Blick war leider häufig von Häme geprägt. Inzwischen ist die Bundeswehr nicht nur sichtbarer sondern auch greifbarer. Das Bahnfahren in Uniform hat sicherlich geholfen. Entscheidend war und ist aber die Amtshilfe in der Corona-Pandemie. Hier gibt es sehr viel Kontakt und entsprechend positive Erfahrungen mit den Bürgerinnen und Bürgern.
Amtshilfemaßnahmen sind aber natürlich kein Selbstzweck und erst recht kein Marketinginstrument. Wir müssen die Berührungspunkte zwischen den Bürgerinnen und Bürgern und der Bundeswehr gezielt suchen. Deshalb halte ich auch die Arbeit der Jugendoffiziere, die hervorragende Informationsarbeit leisten, für sinnvoll. Vielen Menschen fehlt schlicht das Verständnis für die Institution Bundeswehr und dem kann man am besten mit Transparenz und Information auf die Sprünge helfen. Ich wünsche mir, dass die Debatten über Aufgaben und Rolle der Bundeswehr in der gesamten Gesellschaft geführt werden. Denn die Bundeswehr ist das zentrale Instrument, um unser aller Leben in Frieden und Sicherheit zu schützen.
Lagebild Sicherheit: Liebe Frau Strack-Zimmermann, ich danke Ihnen für das Gespräch.
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