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Trumps Zölle – Wiederholt sich ein historisches Desaster?

Prof. Dr. Joachim Krause leitete das Institut für Sicherheitspolitik an der Christian-Albrecht-Universität zu Kiel von 2002 bis 2023 und ist nun Direktor emeritus. Er war von 2001 bis 2016 Professor für Internationale Politik und Direktor am Institut für Sozialwissenschaften, Bereich Politikwissenschaft. Zudem wirkte er als geschäftsführender Herausgeber von SIRIUS - der deutschsprachigen Zeitschrift für strategische Analysen.

April 2025

Zur Zeit des Kalten Krieges hatte die sowjetische Propaganda zwei Standardargumente, mit denen versucht wurde, die westliche Allianz zu spalten. Das eine – gerichtet an die Westeuropäer – lautete, „Ihr seid doch nur Vasallen und Kanonenfutter für die Amerikaner, die ihren Konflikt mit der Sowjetmacht auf Eurem Rücken austragen.“ Das andere Argument richtete sich an Amerikaner und lautete „Eure Bündnispartner in Europa nehmen Euch nur aus, sie tun nichts für ihre Verteidigung und bereichern sich auf Eure Kosten.“ Das erste Argument war an die Friedensbewegung und progressive Parteien in Westeuropa gerichtet und entfaltete besonders in den 80er Jahren große Wirkung. Es wirkt bis heute in der Linken, dem BSW, der AfD und Teilen der SPD fort. Das andere Argument richtete sich an Amerikaner. Einer von denen war der New Yorker Immobilienhändler Donald J. Trump. Er war in den 80er Jahren Gegenstand einer sowjetischen Charmeoffensive und reiste im Sommer 1987 mit seiner Gattin Ivana nach Moskau, wo man ihm einen großen Empfang bereitete. Kurz darauf veröffentlichte er in mehreren amerikanischen Zeitungen eine ganzseitige Anzeige, in der er behauptete, dass die USA von ihren Alliierten im Handel übervorteilt würden und dass Schluss damit sein müsse, Verbündete zu verteidigen, die nicht bereit wären für ihre Verteidigung Geld auszugeben. Heute, fast vier Jahrzehnte später, ist Donald J. Trump der 47. US-Präsident und verfolgt allem Anschein nach eine Politik, die das sowjetische Propagandanarrativ der 80er Jahre eins-zu-eins umsetzt.

Der 2. April 2025 war Trumps „Liberation Day”. Angeblich hätten Freunde und Gegner die USA jahrelang mit hohen Zöllen und Subventionen abgezockt und Arbeitsplätze in den USA zerstört, so Trump. Diesen Zustand wolle er nunmehr durch die Erhebung von Zöllen beseitigen und massiv Arbeitsplätze in den USA schaffen. Kritiker sprechen schon einem Deprivation Day, an dessen Ende viele Amerikaner (und nicht nur die) wirtschaftliche Nachteile haben werden. Auch alle seriösen Ökonomen kritisieren Trump dafür, dass er den falschen Weg gehe. Trump, so heißt es in vielen Kommentaren, wiederhole die Fehler, die der damalige amerikanische Präsident Herbert Hoover und der mehrheitlich republikanische Kongress 1930 mit der Verabschiedung des Smoot-Hawley Acts begangen hätten. Auch damals waren die Zölle erhöht worden, was zu einem Rückgang des weltweiten Handels und zu einem Einbruch des US-Bruttoinlandsprodukts um bis zu 50 Prozentgeführt habe. Wie korrekt sind diese Vergleiche und wie weit tragen sie zum Verständnis der heutigen Entwicklungen bei?

Amerikanischer Protektionismus in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts

Der Smoot-Hawley Act von 1930 stellte nicht den Beginn des amerikanischen Protektionismus dar. Ihm voraus ging der Fordney-McCumber-Act von 1922. Dieses Gesetz bedeutete das Ende der Phase der Handelsliberalisierung, die der liberale Präsidenten Woodrow Wilson und ein demokratisch dominierter Kongress im Jahr 1913 eingeleitet hatten. Hintergrund war, dass bei den Kongress- und Präsidentenwahlen vom November 1920 die Republikaner in beiden Häusern dominierten und der Republikaner Warren Harding zum Präsidenten gewählt worden war.

Anlass für die Anhebung der Zölle war die Lage der amerikanischen Farmer. Diese hatten zur Zeit des Ersten Weltkriegs die amerikanischen und internationalen Märkte mit ihren Produkten versorgt und klagten ab 1919 über die wachsende Konkurrenz aus Europa, die Agrargüter zu sehr günstigen Preisen anbot. Aus der Forderung nach Schutzzöllen für die Landwirtschaft resultierte nach langen Verhandlungen zwischen beiden Kammern des Kongresses im Jahr 1922 ein Gesetz, welches neben landwirtschaftlichen Produkten für eine Vielzahl von industriellen Gütern und Handelswaren hohe Zölle erhob. Es wurde dabei unter anderem argumentiert, dass die Europäer dafür zahlen müssten, dass die USA ihnen im Krieg Beistand geleistet hätten. Für jene Güterkategorien, die von dem Gesetz betroffen waren, bedeutete es einen Zolltarif von durchschnittlich 38.5 Prozent. Es lief auf einen Durchschnittszoll von etwa 14 Prozent hinaus. In den darauffolgenden Jahren erhöhten die europäischen Handelspartner ihre Zölle auf amerikanische Waren.

Die Folgen schienen anfangs wenig dramatisch auszufallen. Die amerikanischen Importe und Exporte nahmen zu, wobei der Handelsbilanzüberschuss der amerikanischen Wirtschaft aber zurückging. Auch nahm das Bruttosozialprodukt pro Kopf der USA deutlich zu. Es ging den Menschen besser. Die Farmer konnten sich auf gesicherte Preise einstellen, wenngleich die Preise für Landmaschinen deutlich anstiegen.

International hatten diese Zölle jedoch gravierende negative Auswirkungen. Neben Kanada waren die Staaten Europas am meisten von den Zöllen betroffen. Nicht nur das Deutsche Reich hatte schwer unter den Reparationsforderungen des Versailles-Vertrags (in der Größenordnung von etwa 30 Milliarden US-Dollar) zu leiden, auch Großbritannien und Frankreich sowie Italien hatten über 10 Milliarden US-Dollar Schulden an die USA abzuzahlen für Kriegs- und Wiederaufbaukredite. Die Erhebung von Zöllen auf so viele Güter bedeutete, dass sie ihre Schulden immer weniger über Exporte in die USA finanzieren konnten. Deutschland stellte als Folge des Fordney-McCumber-Acts 1923 seine Reparationsleistungen ein, wodurch Großbritannien und Frankreich auch nicht mehr in der Lage waren, ihre Kriegskredite an die USA zu bedienen. Der 1924 beschlossene Dawes-Plan sorgte dafür, dass das Deutsche Reich US-Kredite bekam, die es benötigte, um jene wirtschaftlichen Aktivitäten aufrecht zu erhalten, die die Begleichung der allerdings reduzierten Reparationen ermöglichten. Auf diese Weise konnte der transatlantische Handel noch halbwegs aufrechterhalten werden.

Mit dem Börsencrash an der Wallstreet am 24. Oktober 1929 brach die gesamte Fassade zusammen. Der Börsencrash ließ erkennen, dass der Wohlstandzuwachs in den USA auf Börsenwerten beruhte, die nicht mit der Realwirtschaft übereinstimmten. Millionen von Amerikanern hatten sich zum Teil hoch verschuldet, um bei den scheinbar stetig steigenden Aktienwerten mitverdienen zu können. Binnen weniger Stunden brachen die Aktienkurse ein und in den nachfolgenden Wochen wurde ein Tief nach dem anderen erreicht. Panikverkäufe, Schuldenkatastrophen und massive Firmenpleiten waren die Folge. Die US-Federal Reserve Bank verschlimmerte die Lage noch, indem sie die Geldmenge reduzierte. Als dann auch noch der US-Kongress im Einvernehmen mit Präsident Herbert Hoover 1930 den Smoot-Hawley Act verabschiedete, der hohe Zölle für praktisch alle Einfuhren vorsah, ging die US-Wirtschaft in die Knie. Das Bruttoinlandsprodukt der USA sank nominell um fast die Hälfte. Arbeitslosigkeit und soziales Elend waren die Folge. Die Hoover-Administration war mit der Lage überfordert. Der Präsident war als Libertärer ein strikter Gegner staatlicher Interventionen und hing der Meinung an, dass der Markt alles regulieren werde.

In Europa hatte die Wirtschaftskrise noch viel schlimmere Auswirkungen. Besonders das Deutsche Reich war schwer betroffen. Im Jahr 1932 waren sechs Millionen Arbeitslose gemeldet. Angesichts der Tatsache, dass es damals nur für eine Übergangszeit eine kleine Unterstützung durch eine Arbeitslosenkasse gab und angesichts der Tatsache, dass sechs Millionen Arbeitslose die Verelendung von mindestens 20 Millionen weiteren Menschen bedeutete, legte diese Krise die Voraussetzungen für die Machtübernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933.

Im März 1933 trat in den USA der neue Präsident Franklin D. Roosevelt von der Demokratischen Partei sein Amt an und reduzierte schon bald drastisch die Zollschranken und führte eine öffentliche Sozialversicherung ein, die gemeinsam mit einem staatlichen Investitionsprogramm die Lage beruhigte und zu einem Wiederaufschwung der Wirtschaft führte. Im Jahr 1940 war die Wirtschaft der USA wieder auf dem Stand vor der Großen Rezession. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten konnte nicht wieder rückgängig gemacht werden und führte zur zweiten großen Katastrophe des Jahrhunderts, dem Zweiten Weltkrieg.

Die Trumpschen Zölle

Viele vergleichen die Trumpschen Zölle mit dem Smoot-Hawley-Act von 1930 und befürchten ähnliche Konsequenzen. Das muss nicht der Fall sein, denn die Ausgangsbedingungen sind unterschiedlich. Zwar argumentiert Trump teilweise in ähnlicher Weise wie Hoover und die damals regierenden Republikaner. Der Bundesstaat müsse massiv abgebaut, die Steuern gesenkt und die öffentliche Hand in der Hauptsache durch Zölle finanziert werden. Aber die Hauptrichtung seiner Handelspolitik ist eine andere: es gilt die angebliche Übervorteilung der USA im internationalen Handel durch Freunde wie Feinde abzubauen. Anlass sei das bedeutende Handelsdefizit der USA mit China, Japan und der Europäischen Union sowie anderen ausgewählten Ländern. Diese Defizite bestehen tatsächlich. Sie reflektieren die Deindustrialisierung, die die USA in den vergangenen Jahrzehnten erfahren hat. Ziel der Zölle ist es, so Trump, die Industrie und die damit verbundenen Arbeitsplätze in die USA zurückzubringen. Dies ist eine deutlich andere Argumentation als diejenige der Republikaner in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts, wo die USA einen Außenhandelsüberschuss aufwiesen und wo der Protektionismus dazu dienen sollte, europäische Konkurrenz von den heimischen Märkten fernzuhalten.

Aber auch das ökonomische Umfeld ist ein anderes als in den 20er und 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Damals waren die USA, Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Japan die führenden Wirtschaftsmächte. Die Europäer waren durch den Weltkrieg massiv geschwächt, insbesondere das Deutsche Reich. Dadurch nahmen die USA unter den Industrienationen eine Führungsrolle ein, die zumindest bei Republikanern nicht verstanden oder nicht akzeptiert wurde. Man orientierte sich egoistisch an dem, was Amerika nützen sollte und übersah die langfristigen negativen Folgen für die eigene Wirtschaft und Sicherheit. Erst unter der Roosevelt- und der Truman-Administration sollte sich das ändern. Heute sind die USA mit etwa 27 Billionen US-Dollar Bruttoinlandsprodukt (BIP) p.a. zwar noch die größte Wirtschaftsmacht der Welt, aber China und die EU sind mit etwa 19 Billionen US Dollar BIP vergleichbar starke Akteure. Besonders China, welches in Kaufkraftparität gerechnet die USA schon überflügelt hat, stellt sich seit einigen Jahren systematisch auf eine verschärfte wirtschaftliche Konfliktlage mit den USA ein. In der EU lässt sich vergleichbares nicht beobachten.

Auch bestanden Handelsströme in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts vorwiegend aus Endprodukten, Halbfertigprodukten, Landwirtschaftsprodukten oder Rohstoffen. Es gab kaum jene internationalen und interkontinentalen Wertschöpfungsketten und Lieferketten, die heute das Profil der Weltwirtschaft prägen. Und der Dienstleistungssektor war deutlich kleiner im Vergleich zu heute, nicht zuletzt der gesamte internationale Finanzdienstleistungssektor.

Die Zollerhöhungen unter dem Smoot-Hawley-Act traten zu einer Zeit in Kraft, wo die durch den Börsencrash von 1929 ausgelöste Weltwirtschaftskrise ihrem Höhepunkt zutrieb. Die US-Zölle haben die Wirtschaftskrise noch erheblich beschleunigt. Trumps Liberation-Day fand zu einem Zeitpunkt statt, wo die Börsen einen Aufschwung genommen hatten und wo von einer vergleichbaren strukturellen Krise nicht die Rede sein konnte.

All diese Aspekte machen eines deutlich: die Verhältnisse sind anders als 1930 und aus dem Vergleich mit damals lassen sich keine belastbaren Schlüsse für die Zukunft ableiten. Nicht zuletzt aus diesem Grund ist unter Experten die Ungewissheit über die Folgen der Politik Trumps groß. Die meisten stimmen darin überein, dass Trump schlecht beraten ist und sich mehr oder weniger anschickt, die globale Wirtschaftsordnung zu zerstören. Auch fällt das Wort „Wirtschaftskrieg“ immer wieder. Aber was das im Einzelnen zu bedeuten hat, bleibt offen. Auch die überraschende Ankündigung Trumps vom 9. April 2025, wonach – mit Ausnahme Chinas – die Zölle erst nach 90 Tagen erhoben werden sollen, lässt erkennen, dass die Dinge anders liegen als 1930. Was die möglichen Folgen der Politik Trumps betrifft, so zeichnen sich zumindest einige erste Tendenzen ab:

  • So sind sich die meisten Experten darin einig, dass die US-Zölle zu einer erheblichen Verstärkung der Inflation in den USA sowie zu schweren Einbußen bei exportabhängigen Firmen in einer Reihe von Staaten führen werden, auch in den USA. Von daher erklären sich die massiven Kursstürze nach dem 2. April an den Börsen in den USA, Ostasien und Europa. Dieser Trend könnte sich noch verschärfen, sollten sich mehr und mehr Staaten dazu entschließen, mit eigenen Zollerhöhungen zu reagieren.

  • Die meisten Experten sind sich auch darin einig, dass die Rechnung Trumps nicht aufgehen wird, wonach Zölle auf Importe Arbeitsplätze in den USA schaffen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Derzeit kostet ein in China hergestelltes I-Phone 16 der Firma Apple in den USA etwa 1.000 Dollar. Nach der Erhöhung der Zölle für aus China stammende Produkte würde der Preis weit über 2.000 Dollar liegen. Sollte Apple seine Produktion ganz in die USA verlegen, würde der Preis dieses iPhones vermutlich bei 3.500 Dollar liegen. In anderen Branchen mag das Bild etwas anders aussehen. Aber die Realität ist, dass kaum ein Amerikaner bereit sein wird, in der Industrie zu einem Lohn zu arbeiten, wie man ihn in China oder Südostasien kennt. Auch werden sich ausländische Industrieunternehmen schwertun, neue Industrieanlagen in den USA etwa für Autos oder Kapitalgüter herzustellen angesichts des dortigen Lohnniveaus und der Aussicht, dass in vier Jahren die Demokraten wieder die Politik bestimmen und die Trumpschen Zölle zurücknehmen könnten.

  • ·Viele Ökonomen raten derzeit auch von zu viel reziproken Strafzöllen auf US-Produkte ab, weil das eine sich selbst verstärkende Spirale auslösen könnte. Sinnvoller sei es allemal die Handelsbeziehungen auf jene Länder zu fokussieren, die am liberalisierten Handel festhalten wollen. Allerdings wird eine solche Politik sich daran messen lassen müssen, inwieweit sie angesichts einer abzusehenden Exportschwemme chinesischer Produkte nach Europa aufrechterhalten werden kann.

  • Die überraschende Verschiebung der Zölle um 90 Tage, die Trump am 9. April 2025 verkündete, wird von den meisten Experten als Folge der abstürzenden Börsenkurse an den Aktienmärkten interpretiert. Sie wird aber auch im Zusammenhang mit den Kursverlusten amerikanischer Staatsanleihen gebracht. Letztere sind entstanden, weil an den internationalen Bondmärkten US-Anleihen plötzlich in großer Menge angeboten wurden. Sowohl Japan als auch China verfügen zurzeit über die größten Mengen an derartigen Anleihen und können dieses Überangebot als subtiles Mittel der Gegenerpressung genutzt haben. Je tiefer die Kurse der bestehenden Anleihen sinken, umso mehr steigt die Zinsbelastung für die US-Regierung.

Die Zollpolitik von US-Präsidenten Donald Trump zielt darauf ab, die USA wieder zu einem erstrangigen Industrieland zu machen, in dem Amerikaner für Amerikaner Güter herstellen. Er wird damit aller Voraussicht nach scheitern und eine Menge an Kollateralschaden verursachen. Trump scheint in Kauf zu nehmen, dass ein von den USA nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebautes System des organisierten und geregelten Handels dabei zerstört wird; ein System, von dem alle profitiert haben – besonders die USA. Dass es angesichts der defizitären Handelsbilanz der USA einen Anpassungsbedarf gibt, ist unstrittig. Aber man repariert ein reformbedürftiges System nicht, indem man es zerstört ohne eine klare Alternative zu besitzen.

Für diese Art von Handelspolitik gibt es keinen historischen Vorläufer, deswegen macht es wenig Sinn auf historische Beispiele zu verweisen, die fast 100 Jahre zurückliegen. Es kann schlimmer kommen als 1930, es kann aber auch Abläufe und Entwicklungen geben, die in eine völlig andere Richtung weisen, wie die Erklärung Trumps vom 9. April zeigte.

Der derzeit verfügte Aufschub ist nur ein Aufschub. Ob es in der Zwischenzeit zu Vereinbarungen mit der EU oder Japan und anderen Ländern kommt, ist völlig offen. Der Aufschub bezieht sich nicht auf China, welches sich kampfbereit erklärt hat. Zwischen beiden Ländern droht tatsächlich so etwas wie ein Handelskrieg, der zu erheblichen wirtschaftlichen Schäden in China wie in den USA führen wird, Weitere Crash-Verkäufe amerikanischer Staatsanleihen durch China könnten den Druck auf Trump erhöhen.

Insgesamt verbleibt ein bedrückender Eindruck. Sowohl Trumps Zollinitiative als auch seine Politik zur Beendigung des Ukraine-Krieges und seine Haltung gegenüber der NATO lassen erkennen, dass ideologische Verblendung und weitgehende Ahnungslosigkeit in Verbindung mit großsprecherischem Auftreten zu einem Grundmuster der Trump-Administration geworden ist. Im Gegensatz zur ersten Amtszeit Trumps, wo dieser noch von erfahrenen Politikern und Beamten umgeben war, besteht das derzeitige Umfeld Trumps zum Großteil aus Jasagern, Opportunisten und verbohrten Einzelkämpfern wie Peter Navarro oder Robert Kennedy Jr., die zu jeder Gelegenheit die überlegene Weisheit des Präsidenten lobpreisen, auch dann, wenn er schwere Fehler begeht. Es ist dieser Mangel an Professionalität gepaart mit einer gefährlichen Affinität für sowjetische oder russische Propagandanarrative, welcher die Politik Trumps zum Risiko für die USA und die Welt werden lässt.


Der Krieg in der Ukraine und historische Vergleiche

Wie angemessen sind historische Vergleiche zur Beschreibung des Umschwungs in der US-Politik?

März 2025
Angesichts des Umschwungs der US-Politik gegenüber der Ukraine sehen wir uns derzeit mit historischen Vergleichen konfrontiert, die meist auf die Vorphase oder die Endphase des Zweiten Weltkriegs verweisen. Immer wieder wird ein Vergleich mit dem Münchner Abkommen vom September 1938 gezogen, wo seinerzeit für die Aussicht auf ein bisschen Frieden die Tschechoslowakei geopfert wurde. Aber es wird auch auf mögliche Parallelen mit dem Hitler-Stalin-Pakt vom August 1939 hingewiesen, der zur Aufteilung Polens und Osteuropas zwischen dem Dritten Reich und der Sowjetunion führte. Der eine Vergleich soll darauf verweisen, dass eine Beschwichtigungspolitik gegenüber einem Aggressor – damals Hitler, heute Putin – das falsche Mittel sei. Der andere Vergleich suggeriert, dass wir uns in einer Phase der Neuverteilung der Welt unter den Großmächten befinden, bei dem wir Europäer primär als Verhandlungsmasse vorkommen. In diesem Zusammenhang wird in diesen Tagen auch die Konferenz von Jalta im Februar 1945 erwähnt, wo angeblich die Aufteilung Europas von den Siegermächten beschlossen wurde. Viele befürchten, dass sich jetzt Putin und Trump Europa untereinander aufteilen wollen. Alle Vergleiche haben zu einem gewissen Grad ihre Berechtigung. Aber man sollte auch nicht die Unterschiede zur heutigen Lage außer Acht lassen, und die legen eine differenziertere Sichtweise nahe.

Liegt der Vergleich zu dem Münchner Abkommen nahe?

Tatsächlich gibt es Ähnlichkeiten zwischen der Lage in Europa gegen Ende der 30er Jahre und heute. Europa befindet sich wie damals in einer Situation, wo sich ein Staat (damals das Dritte Reich, heute Putins Russland) mit Militärgewalt kombiniert mit politischer und hybrider Kriegführung zur Vormacht in Europa aufschwingen will. Für Hitler wie für Putin war und ist das ein Anliegen, welches sich machtpolitisch von allein erklärt. In beiden Fällen haben wir es mit autoritären und kriminellen Machtpolitikern zu tun, die einfach daran glauben, dass ihre Nation (oder ihre „Rasse“) und ihre Zivilisation anderen überlegen seien und daher der Griff nach Vorherrschaft ein ganz natürlicher Vorgang wäre. Beide haben ambitionierte Rüstungsvorhaben eingeschlagen, die diesen Anspruch untermauern sollten. Hitler startete 1933 ein massives Aufrüstungsprogramm, im Jahr 1938 gab das Dritte Reich etwa zwanzig Prozent seines Bruttosozialproduktes für das Militär aus, ein Jahr später schon 25 Prozent. Putins Aufrüstungsprogramm startete 2008 und war 2021 abgeschlossen. Zu dem Zeitpunkt nahmen Militärausgaben etwa sechs Prozent des russischen Bruttoinlandsproduktes ein. In beiden Fällen wurde die massive Aufrüstung in den westlichen Hauptstädten nicht wahrgenommen oder – wenn doch – dann mit populären Formeln kleingeredet. In den 30er Jahren verhielten sich die USA abwartend bis neutral gegenüber der Bedrohung durch Hitler. Unter Donald Trump hat Washington signalisiert, dass es die europäischen Ängste vor Moskau nicht interessiert und dass die Europäer für ihre Sicherheit selbst sorgen müssen.

In diesem Zusammenhang ist der Blick auf die militärische Lage wichtig, insbesondere auf die Kräfteverhältnisse sowie die qualitativen Faktoren. Trotz seiner massiven Aufrüstung war das Dritte Reich Ende der 30er Jahre seinen Nachbarstaaten bei den wesentlichen Parametern militärischer Stärke noch nicht überlegen. Es bildete sich sogar eine Allianz aus Frankreich, Großbritannien, der Tschechoslowakei und Polen heraus, die der aggressiven Außenpolitik Hitlers entgegenstehen sollte. Die Tschechoslowakei war dabei das schwächste Glied, denn es gab eine Sezessionsbewegung im slowakischen Landesteil und im tschechischen Gebiet beschwerte sich die deutsche Minderheit der Sudeten lautstark über ihre Benachteiligung und wurde dabei aus Berlin nach Kräften angestachelt und unterstützt. Außerdem war ein Schwachpunkt, dass es für Frankreich und Großbritannien keine Möglichkeit der Versorgung mit militärischem Nachschub in die Tschechoslowakei gab. Als Hitler das Thema der Sudeten aufwarf und im Laufe des Jahres 1938 mit zunehmender Aggressivität die Abtretung der überwiegend deutschsprachigen Gebiete forderte, reagierten Großbritannien und Frankreich zurückhaltend und drängten die Regierung in Prag zu substanziellen Konzessionen. Als das nichts nutzte, willigten beide am 30. September 1938 über den Kopf der tschechoslowakischen Regierung hinweg in einen „Kompromissvorschlag“ ein, der die Abtretung der Gebiete an das Deutsche Reich im Gegenzug für die Aussicht auf Frieden vorsah. Damit verband sich die Hoffnung, dass dann Ruhe einkehren werde. Das war nicht der Fall. Hitler hatte von Anbeginn an geplant, auch den Rest der damals so genannten „Tschechei“ einzunehmen, was er im März 1939 dann auch tat. Damit sicherte er sich für seine weiteren Kriegspläne die nicht unerheblichen Waffenarsenale der tschechoslowakischen Armee und vor allem die dortigen Kapazitäten der Rüstungsindustrie, was die Kräftebalance tatsächlich beträchtlich veränderte und somit die Bedingungen für die Vornahme weiterer militärischer Aggressionen schaffte.

Vergleicht man die heutige Ukraine mit der Tschechoslowakei, dann ergeben sich in der Tat Parallelen. Aus der Sicht Putins war und ist die Ukraine ein schwacher Staat, weil große Teile der russischsprachigen Bevölkerung im Südosten des Landes mit der ukrainischen Nation und deren Sprache fremdeln. Die Besetzung der Krim im Wege einer hybriden Operation und die Anstiftung eines angeblichen Volksaufstands im Donbas ähnelten von der Methode her dem Vorgehen Hitlers in der Sudetenkrise. Und das Verhalten Frankreichs und Deutschlands in den Minsk-Verhandlungen war durch eine geradezu unterwürfige Beschwichtigungshaltung gekennzeichnet. Sie akzeptierten sogar die Rolle Russlands als „Vermittler“. Heraus kam ein Waffenstillstand, der keiner war, und eine Übergangsregelung, die von Russland permanent umgangen wurde. Alles wurde dadurch verschlimmert, dass sich die von Angela Merkel geführte Bundesregierung weigerte, den ukrainischen Streitkräften Militärhilfe zu leisten. Angeblich um den Konflikt nicht zu eskalieren. Im Vergleich zu Kanzlerin Merkel waren die britischen Vertreter der Appeasement-Politik Realpolitiker, denn sie sahen schon vor dem März 1939 die Gefahr eines von Deutschland ausgehenden Krieges aufziehen und gingen davon aus, dass erhebliche Rüstungsanstrengungen notwendig seien.

Erst sieben Jahre später entschloss sich Russland zu einer Besetzung der Ukraine. Dieser Zeitunterschied resultierte aus der Tatsache, dass Russland im Jahr 2014 oder 2015 noch nicht in der Lage war, eine umfassende Militäroperation gegen die Ukraine zu starten. Frau Merkel behauptet zwar das Gegenteil, aber Russlands Militär war im Jahr 2014 noch nicht zu einer großformatigen Besetzung der Ukraine imstande. Und so wie bei Hitler dürfte ein ganz wesentliches Motiv Putins gewesen sein, das Potential der Ukraine an Menschen, Rüstung und Industrie zu nutzen, um seine weitergehenden ambitionierten Kriegsvorbereitungen voranzutreiben.

Aber hier enden erst einmal die Parallelen, denn die Ukraine hat sich anders als die Tschechoslowakei gewehrt, und zwar so erfolgreich, dass die im Februar 2022 dort einmarschierte Truppe heute so nicht mehr existiert. Russland hat etwa eine halbe Million Soldaten entweder durch Tod oder Invalidität in diesem Krieg verloren. Seine Verluste an Kriegsmaterial machen die meisten Aufrüstungsmaßnahmen der Jahre zwischen 2008 und 2021 wieder wett und die strategischen Reserven an gepanzerten Fahrzeugen und Artillerie schmelzen dahin. Russland versucht heute mit Reservisten und Freiwilligen die Lage in der Ukraine einigermaßen unter Kontrolle zu bringen und kleine Vorteile zu erringen. Für seine weiterreichenden Ambitionen hat Putin derzeit nicht die Truppen. Es gelingt der russischen Armee nicht einmal, trotz deutlicher Schwächen der ukrainischen Streitkräfte operative Durchbrüche an der Front zu erzielen. Die Wirtschaft Russlands ist im Kriegsmodus und derzeit gehen etwa zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts für den Krieg und das Militär drauf. Russland kann kleine territoriale Gewinne erzielen, weil es mehr „Menschenmaterial“ aufbieten kann als die Ukraine, aber zu einem entscheidenden „Sieg“ ist es nicht in der Lage.

Ende der 30er Jahre lief das ganz anders ab. Im März 1939 besetzte Deutschland die „Rest-Tschechei“ ohne dass es dort Gegenwehr gab. Im September 1939 griff Hitler erst Polen an und dann ein halbes Jahr später Frankreich, die Benelux-Staaten, Dänemark und Norwegen. Er war überraschend erfolgreich, weil die Wehrmacht – anders als die Alliierten – sich eine revolutionäre Form der Kriegsführung angeeignet hatte: die Doktrin des sogenannten Blitzkriegs. Im Wesentlichen wurde der Widerstand des Gegners durch die Kombination aus Luftangriffen auf militärische und zivile Ziele und tiefe Vorstöße durch gepanzerte und motorisierte Einheiten gebrochen – und zwar schnell und effektiv. Diese neue Doktrin war auch in Frankreich und Großbritannien diskutiert worden, fand aber keine Resonanz. Selbst unter britischen und französischen Militärs gab es wenig Verständnis für derartige Überlegungen. Auch die Wehrmacht war, so der britische Militärhistoriker Basil Liddell Hart, im Jahr 1939 nur teilweise auf diese neue Kriegführung eingestellt. Aber, so Liddell Hart, sechs Panzerdivisionen, vier leicht motorisierte Divisionen sowie vier weitere motorisierte Infanteriedivisionen machten zusammen mit den Einsätzen der Sturzkampfbomber im Krieg gegen Polen den entscheidenden Unterschied aus. Und es dauerte lange, bis die alliierten Streitkräfte sich darauf eingestellt hatten. Von daher konnte Hitler in den Jahren 1939-1941 so rasche und erfolgreiche Eroberungsfeldzüge führen. In der Sowjetunion hatte Marschall Tuchatschewski ähnliche Pläne verfolgt, aber er wurde von Stalin im Sommer 1937 kaltgestellt und umgebracht.

Die militärische Lage ist heute anders. Die russischen Streitkräfte verfügen über keine vergleichbare innovative Kriegsdoktrin. Im Gegenteil, ihre Vorgehensweise in der Ukraine ließ große Mängel und Defizite erkennen. Aber es muss angemerkt werden, dass das russische Militär in diesem Krieg viel gelernt hat, insbesondere wie man Drohnen einsetzen und wie man sich gegen Drohneneinsätze der anderen Seite wehren kann. Aber es ist nicht zu erwarten, dass russische Truppen so wie seinerzeit Hitler mit Panzerkolonnen tiefe Vorstöße nach Europa vornehmen. Aber sie bleiben befähigt, kleine Länder an ihrer Peripherie zu bedrohen und Ziele tief im Hinterland mit Marschflugkörpern und Raketen anzugreifen. Und Russland besitzt ein erhebliches Potenzial an Kernwaffen, die es als Drohkulisse nutzt, um Eroberungen abzusichern.  

Den Vergleich mit dem Münchener Abkommen und dessen Rolle zur Vorbereitung des Zweiten Weltkriegs könnte man an dieser Stelle zur Seite legen, wenn es nicht Donald Trump gäbe. Dieser hat im Februar 2025 offenkundig die Seiten gewechselt und die Position Russlands im Krieg übernommen. Er bereitet sich darauf vor, zusammen mit Russland die Bedingungen eines mehr oder weniger schmutzigen Deals auszuarbeiten, der einen Waffenstillstand entlang der Frontlinien vorsieht, ohne dass die Ukraine eine substanzielle Sicherheitsgarantie erhält. Und da kommen die Parallelen zu München 1938 tatsächlich wieder auf. Hier maßt sich der US-Präsident an, dem Führer eines bedrängten und mit brutaler Gewalt angegriffenen Landes die demokratische Legitimation abzusprechen und ihn auch noch für den Ausbruch des Krieges verantwortlich zu machen. Er verlangt von der Ukraine Konzessionen so wie seinerzeit die westlichen Appeasement-Politiker von der Führung in Prag. Angeblich geschieht das im Namen des Friedens. Tatsächlich dürften andere Gründe dafür verantwortlich sein. Viele vermuten, dass Trump den erfolgreichen Machtpolitiker Putin bewundert und sich außerdem einer Reihe von russischen Oligarchen verpflichtet fühlt, die ihm in der Vergangenheit immer wieder aus finanziellen Notlagen verholfen haben. Möglicherweise ist das strategische Kalkül dahinter aber auch ein anderes: es könnte die Absicht Trumps sein, Russland aus seiner Allianz mit China herauszubrechen. Da tun sich Parallelen zu München 1938 auf. Damals glaubten viele Politiker in Großbritannien, dass die eigentliche Bedrohung aus der Sowjetunion käme und dass man daher nachsichtig mit Hitler umgehen müsse. Ein fataler Irrtum, der sich möglicherweise wiederholt – angetrieben von einem Präsidenten, der weder einen moralischen Kompass hat noch vertiefte Kenntnisse über die Vergangenheit besitzt.

Von daher kann man leider nicht mehr ausschließen, dass die Ukraine Gegenstand eines von außen aufgezwungenen „Friedens“ a la München 1938 wird, der voraussichtlich nicht lange vorhalten und der Putin nicht davon abhalten wird, dort oder an anderer Stelle in Europa seinen Machtbereich auszudehnen – auch mit militärischen Aktionen. Aber die Ausgangslage ist anders als 1938/1939 und es liegt durchaus in der Hand der Europäer darauf hinzuwirken, dass sich derartiges nicht wiederholt. Denn anders als 1938 haben sie die Gelegenheit, den Lauf der Geschichte zu ändern. Die aktuelle militärische und wirtschaftliche Schwäche Russlands bietet die Chance, im Rahmen eines massiven Rüstungsprozesses eine eigenständige Verteidigungsfähigkeit herzustellen und gleichzeitig die Ukraine nachhaltiger zu unterstützen. In dieser Hinsicht unterscheidet sich die Lage heute fundamental von derjenigen in den Jahren 1938 und 1939. Womit man dann eher rechnen muss ist, dass Trump ganz die Lust an dem Ukraine-Krieg verliert.

Gibt es Parallelen zum Hitler-Stalin-Pakt von 1939?

Was die zweite oben genannte Parallele betrifft, so kann man die derzeitige Wende der amerikanischen Politik nicht mit dem Hitler-Stalin-Pakt vom August 1939 vergleichen. Dieser Pakt wurde als Nichtangriffspakt bezeichnet, war aber tatsächlich eine Absprache zwischen beiden Regierungen, Polen und die baltischen Staaten zu erobern, indem erst eine Besetzung der westlichen Teile Polens durch die Wehrmacht erfolgte und dann der östlichen Hälfte Polens und der baltischen Staaten durch die Rote Armee. Beides steht derzeit nicht zur Debatte, denn die USA haben nicht vor, Truppen in die Ukraine zu entsenden.

Droht ein neues Jalta?

Der SPIEGEL ebenso wie Herfried Münkler haben die Sorge geäußert, dass ein neues „Jalta“ drohe, dieses Mal eine entsprechende Aufteilung der Welt zwischen Trump, Putin und XI? Dieser Vergleich ist abwegig, denn entgegen einem weitverbreiteten Missverständnis wurde in Jalta die Welt nicht unter den Siegermächten aufgeteilt. Die Beschlüsse von Jalta betrafen erst einmal die Gründung der Vereinten Nationen und die Wiederherstellung demokratischer Verhältnisse in den von der Naziherrschaft befreiten Staaten Europas. Zudem verpflichtete sich Stalin, Japan anzugreifen und erhielt dafür die Zusicherung, die Kurilen und die südliche Hälfte der Sachalin-Halbinsel annektieren zu dürfen. Auch wurde allgemein über eine Westverschiebung Polens und die Aufteilung Deutschlands in Zonen gesprochen, aber es wurden keine Beschlüsse gefasst. Insofern ist der Vergleich zu Jalta falsch. Es ist ein Mythos, den der frühere französische Staatspräsident Charles de Gaulle in seinen Memoiren aufgebracht hatte und der immer noch fortwirkt.

Dessen ungeachtet sind natürlich alle derzeit alarmiert darüber, dass Russland und die USA Absprachen über den Kopf der Europäer hinweg treffen. Nur der Unterschied zu 1945 ist fundamentaler Natur. Im Februar 1945 lag Europa in Trümmern als Folge des verhängnisvollen Weltkriegs, den das Deutsche Reich weitgehend allein begonnen hatte. Europa befindet sich heute zwar in einer Krise wirtschaftlicher und politischer Art, aber die ist nichts im Vergleich zu der Lage im Frühjahr 1945. Europa hat heute die Option sich von äußerer Einmischung und Bevormundung freizumachen. In der EU und in Großbritannien leben zusammengenommen etwa 500 Millionen Menschen, die ein Bruttosozialprodukt von 22 Billionen Dollar pro Jahr erwirtschaften. Zum Vergleich: Russland hat 140 Millionen Einwohner und erwirtschaftet 2,2 Billionen US-Dollar im Jahr. Da muss es doch möglich sein, eine Form der Einheit herzustellen, die ein eigenständige Verteidigung gegen Russland ermöglicht.

Über die Sinnhaftigkeit von historischen Vergleichen

Jede Zeit hat ihre Besonderheiten. Aber es lohnt sich schon, das eine oder andere Mal zurückzuschauen, damit Fehler der Vergangenheit nicht wiederholt werden. Und der Blick in die Vergangenheit ist notwendig in der derzeitigen Phase des massiven Umbruchs in den internationalen Beziehungen. Auch wenn man feststellt, dass der jeweilige Vergleich mit einer bestimmten Periode nichtzutreffend ist, so gewinnt man durch den Vergleich wertvolle Einblicke in die Gegenwart.

Interessanterweise hat noch kein Journalist oder Wissenschaftler die gegenwärtige Lage mit der Endphase des Siebenjährigen Krieges (1756-1763) verglichen. Dieser hatte zwei Schauplätze: einmal Nordamerika, wo Briten und Franzosen um die koloniale Vorherrschaft kämpften und wo sich die Briten durchsetzten. Der andere war Mitteleuropa, wo das Habsburger Reich unter Maria-Theresia eine Allianz gegen Preußen geschmiedet hatte, in der Frankreich, Russland, Sachsen und Schweden gemeinsam gegen Preußen unter Friedrich II. (auch „der Große“ genannt) kämpften. Dieser konnte sich zwar einer gewissen Unterstützung Londons und damit auch Hannovers sicher sei. Aber im Laufe des Krieges wandte sich das Kriegsglück mehr und mehr gegen ihn. Dass es so kam, war seine eigene Schuld, denn mit dem unprovozierten Krieg gegen Habsburg zwecks Annexion von Schlesien hatte er sich 1740 reichlich verzockt. Ende 1761 drohte der Einfall der feindlichen Mächte ins preußische Herzland. Da kam es in Russland zu einem Regierungswechsel. Die Zarin Elisabeth verstarb im Januar 1762 und ihr Nachfolger Zar Peter III. war ein aus schleswig-holsteinischem Adel stammender Bewunderer Friedrichs. Im Mai 1762 schloss er Frieden mit ihm. Die Kriegskoalition gegen Preußen zerbrach und Friedrich II. hatte seine Haut gerettet. Der Politikwechsel in Washington rettet Putin wahrscheinlich in ähnlicher Weise, denn seine Optionen für einen Sieg über die Ukraine schmelzen dahin und die Wirtschaft Russlands leidet unter den Sanktionen und der Belastung durch den Krieg.

Dass jemand wie Peter III. den preußischen König bewunderte, kann man nachvollziehen. Dieser war gebildet, stand im Briefwechsel mit Philosophen wie Voltaire, schrieb Gedichte und Konzerte und förderte die Wissenschaft und Kunst. Aber, so fragt man sich, was führt einen Menschen wie Trump dazu Putin zu bewundern, der nichts von dem hat, was Friedrich II. auszeichnete, sondern der ein zynischer Machtpolitiker ist?


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