Konstantin von Notz: „Generalrevision und Überwachungsgesamtrechnung sind überfällig.”

Kalenderwoche 05 // Innenpolitische Perspektive

In dieser Woche spricht der Grünen-Bundestagsabgeordnete Dr. Konstantin von Notz mit uns über die Aufteilung der Sicherheitsressorts innerhalb der Ampel-Koalition, das Profil der Grünen in der inneren Sicherheit und welchen Vorteil er in einer „Überwachungsgesamtrechnung” sieht.

Lagebild Sicherheit: Herr von Notz, wie fühlt es sich an, nach vielen Jahren der Opposition nun in Regierungsverantwortung Sicherheitspolitik gestalten zu können?

Zunächst sind derzeit noch alle Beteiligten damit beschäftigt, sich für die kommenden vier Jahre gut aufzustellen, fachliche Zuständigkeiten zu klären, institutionalisierte Gesprächsrunden zu etablieren und erste Vorhabensplanungen zu erstellen. Das gilt für die Exekutive genauso wie für das Parlament. Insgesamt sind wir guten Mutes, dass es uns in den nächsten vier Jahren gelingt, all die wichtigen Projekte und Reformen, die wir im Koalitionsvertrag festgeschrieben haben, auch tatsächlich gemeinsam umzusetzen und so für einen echten Fortschritt und Wandel, nicht bloß in der Innen- und Sicherheitspolitik zu sorgen. Ich zumindest freue mich auf das vor uns Liegende.

Lagebild Sicherheit: Die Sicherheitsressorts sind überwiegend an die SPD gegangen. Hätten Sie sich mehr grüne Handschrift auch beim Thema Sicherheit gewünscht, beispielsweise durch einen grünen Innenminister?

Zunächst sind wir mit der Ausgangslage und dem bisher Erreichten sehr zufrieden. Die Weichen für einen echten Neuanfang in der Innen- und Sicherheitspolitik sind gestellt. Der Koalitionsvertrag ist eine gute Grundlage und die neue Tonalität aus dem Innenministerium sehr wohltuend. Als Fraktion wähnen wir uns hervorragend aufgestellt, sowohl inhaltlich wie personell. Wir freuen uns, die zahlreichen Themen und Projekte, die nun umzusetzen sind, zukünftig auf mehr Schultern verteilen zu können. Sicherlich ist es in dem beschriebenen Rahmen kein Automatismus, Sichtbarkeit für grüne Positionen zu erreichen. Wir sind aber sehr optimistisch, dass es uns gelingt, Treiber einer modernen und progressiven Innenpolitik ist, die auf Evidenz basiert, neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen maximal entschlossen begegnet und unsere Grund- und Freiheitsrechte wahrt und verteidigt.

Lagebild Sicherheit: Die Grünen haben ein starkes Profil im Bereich Datenschutz und Schutz der Zivilgesellschaft vor staatlichen Eingriffen. Ist es Ihrer Ansicht nach Zeit dafür, dass die Grünen die Cybersicherheit als Kernthema (national und international) für sich entdecken und sich auch mit der Seite des Eingreifenden genau auseinander zu setzen?

Wir können als Grüne nach den letzten Jahren sehr selbstbewusst sagen, dass wir nicht nur in den genannten Bereichen, sondern in der gesamten Innen- und Sicherheitspolitik sehr viel zu bieten haben. Als Fraktion haben wir den Politikbereich in den vergangenen Jahren wahnsinnig intensiv bearbeitet und immer wieder sehr konkrete parlamentarische Initiativen vorgelegt – zur Polizei, zur Reform der Befugnisse der Nachrichtendienste und zur verbesserten parlamentarischen Kontrolle, zur Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden in den gemeinsamen Abwehrzentren, zur besseren Erkennung und Bekämpfung hybrider Bedrohungen, zur Neuaufstellung im Katastrophenschut. Auch zur Cybersicherheit waren wir es, die als erste Fraktion überhaupt sehr weitreichende Vorschläge unterbreitet und die maßgeblichen Anhörungen im Parlament initiiert haben, lange bevor Schlagworte wie die „Digitale Souveränität“ en vogue geworden sind. Statt sich in Symboldebatten um Burkaverbot, Fußfessel und Co. zu verlieren, die sicherheitspolitisch nie irgendeinen Mehrwert gebracht haben, verfolgen wir seit langem einen sehr ganzheitlichen Ansatz, der Sicherheit auf allen Ebenen erhöht.

Lagebild Sicherheit: Welche Herausforderungen in der Sicherheitspolitik muss Deutschland innerhalb dieses Jahres primär angehen und warum?

Wir brauchen eine Verrechtlichung der Arbeit der Sicherheitsbehörden. Hierzu bedarf es zunächst einer Generalrevision der Sicherheitsarchitektur und der Aufstellung einer auch vom Bundesverfassungsgericht wiederholt geforderten „Überwachungsgesamtrechnung“. Auf dieser Grundlage werden wir uns sehr genau anschauen, wie wir die Arbeit der Sicherheitsbehörden, auch im Sinne der Beschäftigten, rechtssicherer ausgestalten können. Die Zeit, in denen die Politik immer wieder von höchsten Gerichten eingesammelt wird, muss endlich vorbei sein. Auch hierdurch erhöhen wir die Sicherheit in unserem Land. Neben guten Rechtsgrundlagen braucht es aber natürlich auch deren Umsetzung. Auch hier setzen wir an, durch die Weiterentwicklung des wichtigen „Pakts für den Rechtsstaat“ zu einem „Digitalpakt für die Justiz“.

Die IT-Sicherheit ist ein ganz zentrales sicherheitspolitisches Thema unserer Zeit. Hier vollziehen wir eine echte Kehrtwende, beenden den die IT-Sicherheit massiv gefährdenden Handel mit Sicherheitslücken, führen ein „Schwachstellen-Management“ ein, erteilen sicherheitspolitisch kontraproduktiven Massenüberwachungen eine klare Absage und kehren zum rechtsstaatlichen Grundsatz zurück, dass zielgerichtet gegen denjenigen ermittelt wird, bei dem ein entsprechender Anlass besteht. Einrichtungen wie das Cyberabwehrzentrum oder auch Zitis kriegen endlich eine Rechtsgrundlage. Und das BSI stellen wir unabhängiger, damit es seiner eigentlichen Aufgaben endlich gerecht werden kann. 

Zu guter Letzt liegt mir als stellvertretendem Vorsitzenden des parlamentarischen Kontrollgremiums der Geheimdienstbereich sehr am Herzen. In Zeiten massiver, teils gewalttätiger Anfeindungen gegen unsere Demokratie, ihre Institutionen und Repräsentanten brauchen unsere Nachrichtendienste eine personell wie technisch gute Ausstattung sowie klare Handlungsgrundlagen, auch in bislang weitgehend unregulierten Bereichen wie beim Einsatz von V-Leuten. Zudem braucht es auch weiterhin eine verbesserte parlamentarische Kontrolle. Auch als Konsequenz der Aufklärung in den parlamentarischen Untersuchungsausschüssen wurden hier erste, wichtige Weichenstellungen vorgenommen. Weitere Schritte müssen folgen und ich freue mich, dass es uns als Ampelkoalition gemeinsam mit SPD und FDP gelungen ist, hier einen guten Fahrplan zu vereinbaren. Jetzt muss er umgesetzt werden.     

Lagebild Sicherheit: Lieber Herr von Notz, ich bedanke mich bei Ihnen für das Gespräch.


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