Andreas Marlow: „Die Lücken für die Truppe sind deutlich größer als die rein numerischen Materialabgaben an die Ukraine.”
Kalenderwoche 17 // Militärische Perspektive
Im November 2022 hat die EU zur Stärkung der Verteidigungsfähigkeit der Ukraine die Aufsetzung der European Union Military Assistance Mission Ukraine (EUMAM) beschlossen. Kritiker von Waffenlieferungen hielten unter anderem dagegen, dass komplexe Systeme ohne Ausbildung für die Ukraine gar keinen hohen Wert hätten. Generalleutnant Andreas Marlow führt das Special Training Command (ST-C), welches die Antwort auf diese Kritik bildet. Sein Kommando bildet ukrainische Soldaten in Deutschland aus. Lagebild Sicherheit ist mit General Marlow ins Gespräch gegangen und hat nach den Erfolgen und Herausforderungen dieser öffentlich viel beachteten Mission gefragt.
Herr General Marlow, im November 2022 hat die EU das Mission EUMAM UA beschlossen. Seitdem führen Sie das zur Mission gehörende Special Training Command (ST-C). Was genau umfasst der Auftrag Ihres Kommandos?
Die europäische Ausbildungsmission EUMAM UA hat im Wesentlichen vier Aufträge: Bedarfsdeckung, Koordination, Synchronisation und Standardisierung. Das ST-C und das Combined Arms Training Command [Anm. d. Red.: CAT-C], das zweite Standbein der Mission in Polen, teilen sich die Aufgaben. Das ST-C ist für die Ausbildung in Deutschland zuständig, während das CAT-C die Ausbildung in anderen Ländern der Europäischen Union koordiniert. ST-C und CAT-C vergleichen gemeinsam die umfassenden Ausbildungsbedarfe der Ukraine mit den Ausbildungsmöglichkeiten, die durch die europäischen Partner angezeigt werden. Hiernach stellen wir fest, wo die Bedarfe gedeckt werden können und koordinieren die Ausbildung der ukrainischen Soldaten.
Den ukrainischen Streitkräften ist aus nachvollziehbaren Gründen daran gelegen, ihre Bedarfe schnellstmöglich zu decken, am besten alle sofort und gleichzeitig. Das überfordert jedoch die europäischen Möglichkeiten Kapazitäten. Einen Flaschenhals bildet darüber hinaus die Möglichkeit zur Aufnahme und Verteilung der ukrainischen Trainingsteilnehmer über Polen. Es ist daher entscheidend die Ausbildungen so zu synchronisieren, dass das System insgesamt ohne Reibungsverluste durchlaufen kann.
Mit zunehmender Standardisierung der Verfahren und Abläufe, auch zwischen den Partnernationen, konnten wir darüber hinaus unsere Effizienz deutlich steigern. In den vergangenen Monaten wurden sowohl Umfang als auch die Komplexität der Ausbildungen erhöht. Begonnen haben wir vor knapp einem Jahr mit den Ausbildungen an Einzelsystemen und von Spezialisten. Heute bilden wir zusätzlich auf den Ebenen Zug bis zur Brigade aus. Entsprechend verzeichnen wir auch einen Anstieg an Trainingsteilnehmern. 2022 wurden insgesamt rund 1100 Soldatinnen und Soldaten ausgebildet. Alleine im ersten Quartal dieses Jahres haben wir die Anzahl der Trainingsteilnehmer auf über 2.000 verdoppelt. Bis Ende des Jahres haben wir Kapazitäten für über 9.000 geschaffen.
Möglich ist das auch durch die Integration unserer multinationalen Partner sowie teilstreitkraftübergreifender Zusammenarbeit innerhalb der Bundeswehr. Alleine im Stab des ST-C dienen Kameradinnen und Kameraden aus 17 Nationen und aller Teilstreitkräfte. In der Ausbildung sind neben Deutschland sechs Nationen beteiligt; acht weitere haben Interesse angezeigt. Zusätzlich binden wir zunehmend die Ausbildungsmöglichkeiten der Industrie mit ein. Das Zusammenführen der Angebote der verschiedenen Akteure bringt einen deutlichen Mehrwert im Umfang, Qualität und Komplexität der ukrainischen Ausbildungsunterstützung.
Es gab in der öffentlichen Diskussion immer wieder Kontroversen darüber, ob einige Waffensysteme zu komplex für eine kurze Ausbildung seien. Was ist Ihre Ansicht dazu?
Ein ukrainischer Soldat der von uns vor kurzem am Kampfpanzer Leopard ausgebildet wurde sagte mir, dass es für ihn so wäre, als würde er einen alten Lada gegen einen Mercedes eintauschen. Der Vergleich ist treffend. An einem älteren Lada können Sie noch relativ einfach Reparaturen selbst durchführen, bei einem Mercedes geht das ohne eine entsprechende Ausbildung kaum. Dafür bringt der Mercedes natürlich viel mehr Leistung auf die Straße. Unsere westlichen Waffensysteme, vom Marder über den Leopard 2, die Panzerhaubitze 2000 zu den Flugabwehrsystemen Gepard und IRIS-T, sind komplexer, weil technisch höher entwickelt.
Solche Systeme bedingen eine gewisse Ausbildungszeit. Diese Ausbildung findet für die Ukrainer allerdings nicht unter normalen Rahmenbedingungen statt. Wir bilden mindestens sechs Tage die Woche, pro Tag meist 12 Stunden und mehr aus. So werden viele Ausbildungsstunden generiert. Das bindet natürlich verhältnismäßig viele Kräfte auf unserer Seite. Aber die Stunden werden erbracht und die Motivation der ukrainischen Soldatinnen und Soldaten ist extrem hoch, was den Lernprozess unterstützt. In der Summe werden in wenigen Tagen erforderliche Inhalte vermittelt, für die wir unter normalen Bedingungen mindestens doppelt so viel Zeit bräuchten. Somit entstehen hinreichend gut ausgebildete Kräfte, auch wenn man natürlich immer noch mehr machen könnte. Wir haben daher gemeinsam mit der Ukraine einen meiner Meinung nach vertretbaren und bewährten Mittelweg gefunden, bei dem sich die Ausbildung nur auf das im Gefecht absolut notwendige ausrichtet.
Wie können wir uns diese Ausbildung vorstellen und wo stehen Sie aktuell insbesondere mit Blick auf die viel diskutierte Lieferung von Kampf- und Schützenpanzern?
Bei der Ausbildung am Leopard 2 sind wir unserem etablierten Model gefolgt. Begonnen haben wir mit der Ausbildung an den Kampfpanzern selbst. Wie funktioniert der Leopard? Wie wird er bedient? Durch die Beantwortung dieser Fragen werden die ukrainischen Soldaten zu Kommandanten, Kraftfahrern, Richt- und Ladeschützen ausgebildet. Anschließend übt die Panzerbesatzung gemeinsam im Simulator und abschließend im scharfen Schuss auf der Schießbahn. Den Abschluss bildet die gemeinsame Ausbildung von vier Kampfpanzern als Team. Bei den Panzergrenadieren auf Mardern gelang es im März die Ausbildung bis auf Verbandsebene, also als Bataillon, abzuschließen. Die deutschen Panzerlieferungen sind jetzt gemeinsam mit den daran ausgebildeten Soldaten in der Ukraine angekommen. Es sind jetzt ukrainische Panzer mit ukrainischen Teams. Ich bin zuversichtlich, dass diese einen wichtigen Beitrag zur Gesamtverteidigung der Ukraine leisten werden.
Wie bewerten Sie die Ausbildungserfolge? Wo ist die Ausbildung unerwartet schwierig, wo möglicherweise einfacher als Sie erwartet haben?
Die Ausbildungserfolge sind beeindruckend. Ursächlich dafür ist nicht zuletzt die hohe Motivation aller Beteiligten. Das trifft sowohl auf die ukrainischen Soldatinnen und Soldaten, wie auf das internationale Ausbilderteam zu. Noch nach den anstrengenden und langen Ausbildungstagen lernen die Auszubildenden, mitunter bis spät in die Nacht hinein. Da ist oft ein unbändiger Lernwille vorhanden. Sie wissen halt, dass alles was sie lernen am Ende auf dem Gefechtsfeld den Unterschied ausmachen kann. Und auch unsere Ausbilder wissen das. Sie knien sich voll in die Ausbildung und nehmen dabei viele Entbehrung in ihrem privaten Umfeld, wie die mitunter lange Abwesenheit von ihren Familien in Kauf. Entsprechend gut sind auch die Ausbildungsergebnisse. Für mich hat sich wieder einmal bestätigt, dass am Ende der Mensch im Mittelpunkt steht. Großgerät, Panzer, sind wichtig. Ohne ausgebildetes Personal bleiben sie aber nutzlos. Es muss allerdings auch klar sein, dass eine sechswöchige Ausbildung, so intensiv diese auch ist, nicht die Routine und Erfahrung eines jahrelang auf dem Gefechtsfahrzeug ausgebildeten Soldaten erreichen wird.
Die sprachlichen Hürden zu überwinden stellt uns vor Herausforderungen. So galt und gilt es, qualifizierte Sprachmittler in ausreichender Anzahl zu finden. Wir müssen ja auch die Ausbildungsinhalte rüberbringen. Dafür brauchen wir Menschen, die die Sprache kennen und möglichste militärischen Sachverstand besitzen. Menschen die beide Anforderungen erfüllen, finden haben wir sehr selten. Ein weiteres Problem trifft die Sprachmittler besonders, jedoch auch alle anderen an der Ausbildung Beteiligten. Wir bilden Soldatinnen und Soldaten dafür aus, in einem jetzt stattfindenden Krieg zu kämpfen. Nicht alle, die wir ausbilden, werden diesen Krieg überleben. Trotz hoher Professionalität lassen die menschlichen Schicksale einen natürlich nicht unberührt. Hier müssen wir – auch in Zukunft – in der soldatischen Gemeinschaft und ebenso in der Zivilgesellschaft unsere Ausbilder bestmöglich vor den psychischen Folgen schützen.
Die ukrainische Armee hat viel Kreativität und Eigeninitiative im vergangenen Jahr gezeigt, gerade im Umgang mit Drohnen und der dezentralen Steuerung von Artillerieangriffen. Kann Deutschland auch von der Ukraine lernen?
Natürlich lernen wir aus diesem Krieg. Wir beobachten sehr genau, wie die ukrainischen aber auch die russischen Soldaten kämpfen und dieser Krieg geführt wird. Für die Dimension Land haben wir dazu einen Prozess etabliert mit dem wir direkt Erkenntnisse aus diesem Krieg für die eigene Operationsführung gewinnen können. So bei der Ausrichtung der Fähigkeitsentwicklung, Ausbildung und Übung, Lehre sowie der Doktrin im Verantwortungsbereich der Dimension Land. Viele Erkenntnisse sind dabei weniger technisch ausgefeilt, sondern fordern mitunter eine Renaissance von alt Hergebrachtem. Ein Beispiel: Wir sehen in der Ukraine, dass Stellungsbau von großer Bedeutung ist, um Soldatinnen und Soldaten vor dem Steilfeuer der Artillerie zu schützen oder der Aufklärung durch Drohnen zu entziehen. In der derzeitigen Ausbildung fristet das Schanzen jedoch eher ein Schattendasein. Das muss sich ändern. Das ist aber nur eine von vielen bisherigen Feststellung, die durch Ausbildung und Sensibilisierung abgestellt werden können. Bei anderen Maßnahmen kann das alles wesentlich umfassender sein – zum Beispiel bei Rüstungsprojekten.
Auch wenn wir unsere Schlüsse heute aus dem Ukrainekrieg ziehen, bleibt es bei der Prämisse. Wir rüsten nicht für den Krieg der Gegenwart, sondern für den der Zukunft. Mittlere Kräfte, die Digitalisierung landbasierter Operationen, die Stärkung der Artillerie oder auch die Steigerung des Selbstschutzes gegen Drohnen sowie die eigene Nutzung von Drohnen werden das Deutsche Heer zukunftsfähig machen. Die Beobachtungen aus dem Ukrainekrieg stützen diesen Ansatz.
Als Kommandeur für die militärische Grundorganisation des Heeres sind sie u.a. Verantwortlicher für die Ausbildung in der größten Teilstreitkraft der Bundeswehr. Kann die Bundeswehr ausreichend Ressourcen für so viel zusätzliche Ausbildung aufbringen?
Im Februar stellte der Bundesverteidigungsminister fest, dass Ausbildung eine besondere Stärke der Bundeswehr ist. Das kann ich nur unterstreichen. Unsere Ausbildungseinrichtungen und Schulen mit ihrem Personal spielen klar in der Champions League! – Die Kapazitäten aber auch endlich. Sowohl Material als auch Ausbildungskapazitäten, sind knappe Ressourcen die natürlich von Haus aus am eigentlichen Bedarf der Streitkräfte ausgerichtet sind. Derzeit sind bisweilen über 2.000 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr direkt oder mittelbar in der Ausbildungsunterstützung involviert. Das sind mehr, als derzeit Angehörige des Heeres in internationalen Einsätzen sind. Diese Kameradinnen und Kameraden mit ihrer Expertise fehlen uns natürlich in der Truppe. Auch die Belegung von Übungsplätzen oder das Abschöpfen von Ausbildungskapazitäten an den Schulen, wie zum Beispiel der Technischen Schule des Heeres, haben einen gewichtigen Einfluss. Zur Aufrechterhaltung unserer eigenen Leistungsfähigkeit als Landstreitkräfte ist daher von entscheidender Bedeutung unsere eigenen Bedarfe nicht aus den Augen zu verlieren. Der Fokus liegt dabei klar auf der Ausbildung unseres militärischen Führungsnachwuchses. Sie sind es, die die Stärke des Heeres von morgen maßgeblich ausmachen.
Neben den unmittelbaren Auswirkungen treten die Effekte aus den Materialabgaben. Die Abgaben von Panzerhaubitzen, Leopard 2 Kampfpanzern und auch der Schützenpanzer Marder, schränken unsere Fähigkeit zur Ausbildung ein. Es ist ja nicht so, dass das Großgerät der Bataillone nur auf dem Kasernenhof rumsteht. Die materielle Ausstattung ist Grundvoraussetzung für die Übungen unserer Verbände. Nur wenn die Soldatinnen und Soldaten auch regelmäßig mit dem Gerät üben können, wird der Ausbildungsstand der Verbände hoch bleiben. Darüber hinaus sind die Lücken für die Truppe deutlich größer als es die bloße Anzahl an Abgaben erscheinen lassen. Bei der Panzerhaubitze 2000 ist das sehr gut sichtbar.
Nummerisch haben wir 14 Panzerhaubitzen abgegeben. Gemessen am Bestand eine kleine Zahl. Für die Einsatzbereitschaft und somit für die Verfügbarkeit der Systeme in der Truppe, sieht das anders aus. Hier wirken sich die ebenfalls erfolgten Munitions- und Ersatzteilabgaben aufgrund der gegenseitigen Abhängigkeiten negativ aus. Die Rechnung ist einfach. Wir haben weniger Systeme die jedoch einer höheren Nutzung bei steigendem Ausbildungsbedarf der Truppe unterliegen. Das führt zu erhöhtem Verschleiß, der wiederum in längeren Wartungszeiten resultiert. Einen ähnlichen Effekt, wenn auch nicht in dem Ausmaß, erwarten wir für die abgegebenen Leopard 2 Kampfpanzer und die Schützenpanzer Marder. Es ist immanent wichtig, dass wir das Material, wo sinnvoll, schnellstmöglich nachbeschaffen oder, wo möglich, adäquat ersetzen. Das Material muss für die Truppe zügig wieder verfügbar gemacht werden, wollen wir den Kern der deutschen Landstreitkräfte, die schweren Kräfte des Heeres, nicht nachhaltig in ihrer Leistungsbereitschaft schwächen. Mit Blick auf die Panzerhaubitze 2000 ist die Nachbeschaffung bereits durch das Parlament entschieden. Mit einer hoffentlich zeitnahen Entscheidung zur Beschaffung des 2. Loses des Schützenpanzer PUMA werden wir die abgegebenen Marder durch neue und moderne Schützenpanzer ersetzen.
Herr General, wir bedanken uns für Ihre Zeit und die Hintergründe zu Ihrerm Auftrag, welchen Sie den Leserinnen und Lesern von Lagebild Sicherheit erläutert haben.
Das Interview führte für Lagebild Sicherheit Dr. Christian Hübenthal
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