Jens B. Koch: „Wir sind eine wertebasierte Gesellschaft, das gilt es zu verteidigen.”
Kalenderwoche 13 // Wirtschaftsperspektive
Die Zeitenwende wurde mit 100 Mrd. Euro für die Bundeswehr angekündigt. Fachleuten aus Industrie und Militär war sofort klar, dass eine Einmal-Investition in die Sicherheit nicht ausreichend sein wird. Lagebild Sicherheit hat deshalb mit Dr. Jens Bodo Koch den CEO eines führenden deutschen Unternehmens der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie zum Gespräch getroffen, um seine Einschätzung zur Zeitenwende zu erfahren.
Herr Dr. Koch, Sie haben gerade einen erheblichen Erfolg eingefahren, Sie werden auch in Zukunft das Standardgewehr der Bundeswehr liefern. Was bedeutet das für Sie?
Wir liefern damit in dritter Generation das Standardgewehr der Bundeswehr. Das HK416 ist ein seit 20 Jahren erprobtes und kontinuierlich weiter entwickeltes Gewehr, dass wir an über 50 Kunden in 22 Ländern liefern. Dass nun die gesamte Bundeswehr – wie bislang schon KSK und KSM - dieses Produkt als Standardsturmgewehr nutzt, ist ein toller Erfolg für uns. Als Unternehmen ist das eine Ehre für Heckler und Koch.
Kommen wir zur aktuellen Lage. Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hat viele in Deutschland aufgeschreckt. Auf einmal gibt es wieder unserer unmittelbaren Nähe Krieg zwischen Staaten. Haben wir zu lange in einer Traumwelt gelebt?
Es gibt drei Blöcke, über die man dabei sprechen kann. Erstens sehen wir nun, wie schützenswert Freiheit, Demokratie und Sicherheit sind oder wie fragil dieses wertvolle Konstrukt ist. Wir haben uns in den letzten 30 Jahren, in denen weitgehend Frieden in Europa geherrscht hat, sicher gefühlt und der Sicherheit selbst keinen hohen Stellenwert mehr beigemessen.
Damit geht zweitens einher, dass bestimmte Readiness-Level und die Fähigkeit sich auf Krisen vorzubereiten, heruntergegangen sind. Auch in der Industrie sind gewisse Kernfähigkeiten verloren gegangen. Unter dem Stichwort Friedensdividende ist die Beauftragung heruntergefahren worden. Die oft genannte Kaltstartfähigkeit ist nämlich auch ein Thema der Industrie. Ein Unternehmen kann Investitionen nur tätigen, wenn es eine Planungssicherheit hat. Wir brauchen deshalb vor allem langfristige Rahmenverträge.
Drittens wurde politisch, gesellschaftlich und medial dem Thema Sicherheit zu wenig Wert beigemessen. Und damit ist auch die Wertschätzung von Sicherheitskräften heruntergegangen. Das bezieht sich nicht nur auf die Frauen und Männer, die in der Bundeswehr dienen. Leider ist auch die Akzeptanz der Polizeikräfte erodiert.
Das sind die drei Lehren, die man aus dem jetzigen Angriffskrieg auf die Ukraine ziehen muss. Wir müssen wieder lernen, Gefahren richtig einzuschätzen und dann auch adäquat reagieren.
Wurden politische Fehler gegenüber der Rüstungsindustrie gemacht?
Hinterher ist man immer schlauer. Wir sind die am stärksten regulierte Branche der Welt. Das ist auch richtig und gut so. Waffen gehören ausschließlich in die richtigen Hände, dann bieten sie Schutz. Sonst würde das Gesetz des Stärkeren gelten. Wir sind schließlich eine wertebasierte Gesellschaft. Das gilt es zu verteidigen.
Welche Rahmenbedingungen wünschen Sie sich jetzt?
Wir brauchen vor allem Verlässlichkeit, d.h. mehrjährige kontinuierliche Lieferungen sind besser als kurzfristige Sofortbedarfe. Die Kaltstartfähigkeit der Industrie ist immer eine Frage der Planbarkeit. Heckler und Koch war schon zu Beginn des Krieges Russlands gegen die Ukraine gut vorbereitet, da wir bereits seit 2018 einen stetigen Wachstums- und Innovationskurs verfolgt haben. Getragen war dieses Wachstum allerdings vor allem durch Beschaffungen aus Ländern wie Lettland, Litauen und Norwegen. Da diese Länder näher am potenziellen Kriegsgebiet sind, haben sie früher ihre Sicherheitsausgaben hochgesetzt. Insofern können wir heute den weiterhin gestiegenen Bedarf produzieren. Langfristig sind Planbarkeit und Kontinuität wohl die wichtigsten Rahmenbedingungen.
Die Zeitenwende wurde insbesondere mit den 100 Mrd. für die Bundeswehr verknüpft. Was denken Sie – sind 100 Mrd. ein politischer Slogan oder die Basis einer wirklich neuen Zeit?
Zunächst einmal müssen große Systeme beschafft werden, Flugzeuge, Hubschrauber, Panzer, und Luftabwehrsysteme, wie wir jetzt sehen. Adressat der 100 Milliarden ist das Unternehmen Heckler und Koch nicht. Wir sind als Mittelständler im regulären Verteidigungshaushalt gut integrierbar. Derzeit rüsten wir die Bundeswehr mit dem neuen Maschinengewehr MG5 aus und nun auch noch mit dem neuen Standardsturmgewehr HK416. Wir sind als Ausrüster von Sicherheitskräften eingebettet in die Sicherheitsarchitektur Europas und der NATO. Die Zeitenwende ist aus unserer Sicht nicht nur eine monetäre Frage. Die Zeitenwende fängt im Kopf an.
Ist für Sie die Erfüllung des Zwei-Prozent-Ziels nunmehr unumgänglich? Dem standen faktisch vor allem politische Argumente entgegen.
Aus meiner Sicht ist die eigentliche Frage, welchen Bedarf Soldatinnen und Soldaten haben. Ich denke, es muss selbstverständlich sein, dass wir die Menschen bestmöglich ausstatten, die uns beschützen. Das müsste dann den Bedarf und das Budget festlegen. Zudem ist das Zwei-Prozent-Ziel, oder vielleicht sogar bald Drei-Prozent-Ziel, immer im Rahmen der Bündnistreue zu betrachten. Wie stehen wir gegenüber unseren Verbündeten da, wenn Deutschland seine Zusagen nicht einhält?
Eine Sache ist nun besonders wichtig in der Planung: Wir dürfen nicht in einen Schweinezyklus verfallen. Jetzt sind gerade alle aufgewacht und dann soll alles auf einmal beschafft werden. Wenn in ein paar Jahren die politische und gesellschaftliche Akzeptanz anders sein sollte, dann muss wieder gespart werden. Sicherheit ist aber kein kurzfristiges Gut, sondern eine langfristige Verpflichtung. Sind die notwendigen Kapazitäten langfristig gut geplant, können diese natürlich auch immer bei besonderem Bedarf hochfahren werden. Schwieriger ist es aber, wenn es ein ständiges Auf- und Ab gibt.
Nicht nur im Osten Europas brechen neue Zeiten an. Auch in Asien sortieren sich gerade viele Staaten an die Seite der USA oder Chinas. Was ist Ihre Einschätzung dazu?
Auch in Asien verfolgen Länder geopolitische, strategische Ziele. Heckler und Koch beliefert im Rahmen seiner Grünen-Länder-Strategie grundsätzlich nur Kunden in der EU, in Ländern der NATO, der NATO gleichgestellte Länder, sowie explizit von der Bundesregierung anerkannte Sicherheitspartner. Australien, Japan, Südkorea und Singapur zählen wir seit vielen Jahren zu unseren Kunden. Die Entscheidung über eine NATO-Gleichstellung ist eine politische Frage, die ich nicht beantworten kann und werde. Gut ist aber sicherlich, dass wir jetzt einen Vorschlag für ein Rüstungsexportkontrollgesetz haben, in dem Länder klar benannt sind. Das gibt einen verlässlichen Rahmen. Für die Sicherheitspartner Deutschlands bedeutet dies, dass sie sich ganz klar auf Deutschland verlassen können. Das ist für beide Seiten in Zukunft ein Vorteil.
Lagebild Sicherheit: Wir danken Ihnen für das Gespräch und ihre offenen Worte, Herr Dr. Koch.
Das Interview führte für Lagebild Sicherheit Dr. Christian Hübenthal
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