Andreas Henne: „Zivil-Militärische Zusammenarbeit ist keine Einbahnstraße mehr.”
Kalenderwoche 20 // Militärische Perspektive
Am 26. September 2022 löste das Territoriale Führungskommando das bisherige Kommando Territoriale Aufgaben der Bundeswehr ab. Angesiedelt direkt unter dem Generalinspekteur der Bundeswehr, soll das Kommando künftig die zivil-militärische Zusammenarbeit verbessern. Notwendig wurde diese Umstrukturierung durch die Einsatzrealität. Überschwemmungen, Großbrände, und die COVID-19-Pandemie haben die Bundeswehr immer öfter zur Amtshilfe gegenüber den zivilen Organisationen gezwungen. Doch mit der Zeitenwende steht eine weitere Aufgabe für das TerrFüKdoBw an: Im Zweifel müssen große Nato-Verbände im Eiltempo durch Deutschland Richtung Osten verlegt werden können, durch die zivile Infrastruktur. Generalmajor Henne ist stellvertretender Befehlshaber des Kommandos und meldete nunmehr die volle Einsatzbereitschaft des Kommandos. Lagebild Sicherheit hat deshalb seine Perspektive erfragt, wo die aktuellen Herausforderungen liegen.
Herr Generalmajor, Sie haben mit dem Territorialen Führungskommando kürzlich „Full Operational Capability“ gemeldet, das ging in kurzer Zeit. Am 15. Mai war der Übergabeapell. Was waren die großen Herausforderungen für Sie in der Aufstellung dieses Kommandos?
Die Herausforderung war definitiv, dieses Kommando im laufenden Betrieb und sehr schnell aufzustellen. Dies geschah unter Wahrnehmung der Aufgaben, welche ohnehin in Zukunft vermehrt auf die Bundeswehr zu kommen. Somit war es gar nicht so einfach, entsprechendes Personal in kurzer Zeit zu finden. Sicherlich entscheidend für den Erfolg dieses Vorhabens ist die Einsicht der Politik und der Leitung der Bundeswehr gewesen, die territorialen Aufgaben der Bundeswehr in einem Kommando zusammenzufassen und die Führung im Bereich territoriale Aufgaben direkt unter dem Generalinspekteur und aus einer Hand zu organisieren.
Sie sprachen von Unterstützung der Politik. Dieses Argument ist in der Aufstellung Ihres Kommandos durch russische Medien gegen Sie verwendet worden. Es hieß, die Politik mache sich nunmehr die Bundeswehr zu eigen, um sie zur auch gegen die eigene Bevölkerung im Inland einzusetzen.
Wir haben dies zur Kenntnis genommen und reaktiv reagiert. So haben wir beispielsweise die Fakten-Check-Teams von dpa, AFP und Correctiv mit Fakten und Hintergrundwissen versorgt. Das Thema ist inzwischen keines mehr. Als Bürger sage ich Ihnen meine Meinung aber auch privat: Diese Armee hat seit 1955 ununterbrochen bewiesen, Teil dieser Gesellschaft und Demokratie zu sein. Zuletzt hat man gesehen, wie wir in Corona Seite an Seite mit der Zivilgesellschaft geholfen haben. Daher halte ich diese Behauptungen von anderer Seite für geradezu lächerlich.
Wie gehen sie mit anderen Themen der Desinformation um? So wird behauptet, der ganze Ukraine-Krieg diene nur dem besseren Waffenverkauf der USA. Und derartige Propaganda richtet sich auch an Soldaten der Bundeswehr, um die Moral zu untergraben.
Die Antwort mag Ihnen simpel erscheinen, aber gegen diese Einflussnahme auf unsere Soldatinnen und Soldaten schützt uns das Konzept der Inneren Führung. Unsere Soldatinnen und Soldaten wissen, warum sie was tun. Sie verstehen Ihre Aufträge und sie verstehen was notwendig ist, um unsere Freiheit zu schützen. Aktuell bedeutet dies eben die Abgabe von Waffen in die Ukraine. Jeder Soldat versteht, dass es hier auch um die Freiheit in Europa geht. Übrigens ist die Bundeswehr-Akzeptanz aus meiner Sicht so groß wie nie, schon durch unsere zahlreichen und diversen Einsätze. Lassen Sie mich Ihnen ein Beispiel geben: Wir haben in Friedrichshain-Kreuzberg während Corona Soldaten in den Bezirksämtern eingesetzt. Hier leben sicherlich viele Bürger, welche nicht als erste auf die Idee kommen, dass die Bundeswehr eine hervorragende Institution sei. Doch auch hier haben wir schnell Akzeptanz erfahren und die Einsicht, dass auch ein Soldat Bürger in Uniform ist.
Aber sind Sie der Ansicht, dass Sie dieses Vertrauen auch außerhalb von Amtshilfe haben? In Ihrem Beispiel sind Sie schließlich nicht in erster Linie als Armee aufgetreten.
Worauf ich hinaus will, ist Vertrauen. Nachdem, was die Menschen von der Bundeswehr im Inland gesehen haben, wird uns wohl niemand zutrauen, dass wir uns auf einmal gegen die eigene Bevölkerung richten würden. Ich bin auch verantwortlich für die Truppenübungsplätze und kann Ihnen sagen, dass wir hier insgesamt große Akzeptanz in der nahe wohnenden Bevölkerung erfahren. Natürlich ist unser Handeln laut und es gibt immer den einen oder anderen, der sich beschwert. Doch die Leute verstehen mehrheitlich, was wir dort tun und warum wir es tun müssen.
Ist die Reserve und deren nun wieder forcierter Ausbau aus ihrer Sicht eine Brücke in die Gesellschaft, wie es vielleicht mal die Wehrpflicht war?
Jedenfalls haben wir in der Reserve, beim CEO eines Chemie-Riesen angefangen, letztlich jede noch so kleine Berufsgruppe und Bevölkerungsgruppe vertreten. Ob das eine große Brücke in die Gesellschaft bildet, das weiß ich nicht, darauf möchte ich es aber auch nicht reduzieren. Durch unsere vielfältigen Einsätze ruhen wir inzwischen, was die Akzeptanz angeht, auf mehreren Säulen. Jetzt kommt noch hinzu, dass jeder in der Ukraine sehen kann, dass eine einsatzbereite Armee absolut notwendig ist, wenn man in Freiheit und Demokratie leben will.
Kommen wir zu den inhaltlichen Aufgaben: Das Territoriale Führungskommando soll die Interaktion der Bundeswehr mit den anderen Blaulicht-, Rettungs- und Katastrophenschutzorganisationen in Deutschland verbessern. Wo sind hier Ihre wichtigsten Herausforderungen?
Was wir definitiv bereits verbessert haben, sind die Kommunikationswege. Wir sprechen nun direkt mit den 16 Landeskommandos und dadurch direkt mit den Bundesländern. Das ist ein qualitativer Unterschied, den wir noch weiter ausbauen, um im Notfall schneller reagieren zu können.
Mit dem 24. Februar 2022 hat sich jedoch eine weitere Aufgabe ergeben. Früher haben wir meistens Amtshilfe für die Länder geleistet, zum Beispiel beim Hochwasser. Jetzt haben wir aber eine neue Situation: Zivil-Militärische-Zusammenarbeit ist keine Einbahnstraße. Diesen Fall sehen wir jetzt ganz deutlich. Seit kurzem ist es so, dass wir viel häufiger aktiv auf die Länder zugehen und deren Kooperation erfragen müssen. Beispielsweise haben wir eine vollkommen neue Qualität unserer Drehscheiben-Funktion für den Aufmarsch von NATO-Kräften. Das ist ein Bereich, der in dieser Intensität vollkommen neu ist und durch uns koordiniert werden muss, durch die Landeskommandos und mit den Ländern.
Weiter haben wir eine neue Herausforderung beim Schutz Deutschlands. Im Zweifel müssen wir im Spannungs- oder Verteidigungsfall mit den 42 Heimatschutzkompanien kritische Infrastruktur schützen. Dies haben wir früher beim Kommando Territoriale Aufgaben und der Streitkräftebasis auch gemacht, nun allerdings auch in einer neuen Intensität.
Die Bundeswehr hat in den vergangenen Jahren in kaum gekanntem Ausmaß zivil- militärisch helfen müssen. Corona, Ahrtal-Flut, Waldbrände. Sind aus ihrer Sicht die Formate zur Kooperation mit den anderen Blaulichtorganisationen ausreichend oder wünschen sie sich neue Plattformen hierfür?
Insbesondere müssen wir die Formate, die wir haben weiter bedienen. Im Jahr 2017 haben wir eine bundesweite Anti Terror Übung gemacht. Es war das erste Mal, dass wir uns so in diesem Bereich bewegt haben. Dabei haben wir festgestellt, dass die Organisationen untereinander teils unterschiedliche Sprachen sprechen. Natürlich sprechen wir alle deutsch, aber für vieles haben wir als Bundeswehr andere Begriffe als beispielsweise die Landespolizei. Manchmal sind die Begriffe sogar gleich, bedeuten aber etwas Unterschiedliches im Einsatz. Daraus abgeleitet haben wir inzwischen in fast jedem Bundesland weitere Übungen mit den Landes-Polizeien abgehalten.
Naturkatastrophe und Krise, das können wir. Was wir aber festgestellt haben, ist dass die andere Richtung der Zivil-Militärischen-Zusammenarbeit noch nicht ausreichend geübt ist. Der Marsch von sagen wir mal 1.000 Fahrzeugen durch einen Landkreis, das muss unbedingt geübt werden und hier werden wir künftig auch verstärkte Übungen abhalten. Hierfür gehen wir auf die Länder aktiv zu. Dies habe ich auch in aller Deutlichkeit auf dem Kreis- und Gemeindetag des Landes Brandenburg gesagt und bin ebenfalls auf positive Reaktionen gestoßen. Hierbei treffen wir auf großes Interesse der Länder, weil diese erkannt haben, dass sie sich sicherheitspolitisch robust aufstellen müssen.
Weiter sprechen wir im Rahmen der zivil-militärischen Vernetzung inzwischen auch auf weniger naheliegenden Veranstaltungen, beispielsweis auf Chirurgen-Kongressen. Denn wen benötigen wir denn in einem Notfall? Vermutlich müssten wir auf viel Chirurgen zurückgreifen.Hierzu müssen frühzeitig Gespräche mit zahlreichen Akteuren aus der Gesellschaft aufgenommen werden.
Sie sprechen von den zahlreichen Ansätzen der neuen Kommunikation. Haben Sie in der Vergangenheit Akzeptanz vermisst?
Dies muss man meiner Ansicht nach in der entsprechenden Zeit betrachten. Nach dem Mauerfall 1989 und der Wiedervereinigung, sprach man noch davon, dass Deutschland von Freunden umgeben sei. Vielleicht war die Friedensdividende auch tatsächlich notwendig in dieser Zeit. Jede militärische Entscheidung hat auch immer ein Preisschild. Dass aber unsere Freunde nicht von Freunden umgeben sind, hat man in dieser Zeit in der Tat ausgeblendet. Doch schon 2006 hat Russland in Georgien Land besetzt. Die Entwicklung Putins ist spätestens seit 2014 klar gewesen. Auch in den Think Tanks ist diese Entwicklung deutlich wahrgenommen worden. Warnungen hat es von dort gegeben. Die Bereitschaft der Sicherheitspolitik größeren Raum zu geben, war aber dennoch nicht da, einfach weil es noch keine existenzielle Bedrohung war. Mit dem 24. Februar 2022 hat der Bundeskanzler nun aber wichtige Schlüsse gezogen.
Herr Generalmajor, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Das Interview führte für Lagebild Sicherheit Dr. Christian Hübenthal
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