Sven Weizenegger: „Ja, wir haben Innovation verlernt”
Kalenderwoche 35 // Innovationsperspektive
Die Bundeswehr leidet unter dem Ruf, zu schwerfällig zu sein und die immer schneller werdenden Technologiezyklen nicht mehr adaptieren zu können. Sven Weizenegger ist als Leiter Cyber Innovation Hub der Bundeswehr (CIHBw) dafür verantwortlich, mehr Innovation und mehr Kooperation mit Start-ups und der Bundeswehr zu ermöglichen. Lagebild Sicherheit möchte wissen, wo es wirklich bei der Innovationskraft und dem Transfer von Innovationen in Bundeswehr hakt.
Herr Weizenegger, Sie argumentieren, dass die Bundeswehr lernen muss, innovativer zu werden. Welche Wege und Maßnahmen sind notwendig, um dieses Ziel in der Bundeswehr in einem absehbaren Zeitraum zu erreichen?
Ich glaube, die Bundeswehr hat im Jahr 2017 schon etwas für Innovation geleistet, indem sie den Cyber Innovation Hub der Bundeswehr gegründet hat, den ich seit Mitte 2020 leite. Das war eine mutige Entscheidung trotz vieler Unkenrufe. Die damalige Ministerin hat bewusst ein Schnellboot und keinen Tanker aufgesetzt. Und dieses Schnellboot ist nicht in der Organisation fest verankert, sondern muss ein Stück weit autark agieren.
Ich bin der festen Überzeugung, dass Innovationen in bestehenden Systemen, insbesondere in Großorganisationen, zwar gewollt und gewünscht sind, aber nicht ohne Weiteres umgesetzt werden können. Denn letztendlich prallen immer verschiedene Systeme aufeinander und das Resultat ist dann eher Stillstand. Nicht ohne Grund lagern Unternehmen, wie etwa Volkswagen, Innovationsleistungen aus. Die Bundeswehr hat das mit dem Cyber Innovation Hub nachgeahmt. Unsere Aufgabe ist es, die richtigen Impulse in das System hineinzusetzen, damit Veränderung einen Anfang nimmt. Und das gelingt durch Leuchtturmprojekte, indem man sagt, es geht ja doch, man kann doch in drei Monaten etwas auf das Smartphone der Soldatinnen und Soldaten bringen. Und man braucht nicht unbedingt immer drei Jahre, um überhaupt erst mal die Anforderungen festzulegen.
Wenn man etwas schnell verändern will, dann braucht man eine charmante Penetranz. Ich muss damit zurechtkommen, manchmal der Stachel im System zu sein. Wichtig ist es, dann nicht die ganze Zeit den Oberlehrer zu spielen, sondern zu zeigen wie es geht. Ich bin davon überzeugt, dass man mit Innovation, Agilität oder Veränderung nicht auf der PowerPoint-Ebene stecken bleiben darf. Das bringt langfristig wenig. Man muss den Beweis antreten, dass Innovation möglich ist und das kann schon im Kleinen anfangen.
Was können wir im Umgang mit Start-ups für den militärischen Komplex lernen?
Ich habe ja selbst ein Start-up gegründet und da muss der Kunde immer im Fokus der Bemühungen stehen. Da braucht man Ehrlichkeit und Konsequenz, die manchmal weh tut. Denn wenn man ein Produkt entwickelt, das an den Kundenbedürfnissen orientiert ist, wird nicht gefragt, ob ich das als Gründer gut finde. Und manchmal findet man das selbst gar nicht gut. Aber ein Start-up, das das Ego des Gründers in den Fokus stellt, wird nicht erfolgreich sein.
Eine andere Lernerfahrung ist sicherlich, dass es sich lohnt zahlengetrieben vorzugehen.
Ein dritter Punkt ist Schnelligkeit. Denn ein Start-up kann nicht lamentieren und Ausreden erfinden wie „hier in Vertrag XYZ, da steht das und das und darum können wir es nicht sofort machen, sondern es dauert drei Jahre. Sorry.“ Das Start-up sagt „Vielen Dank. Wir sehen da noch weitere Potenziale. Und wir glauben, dass wir das, was sie uns als Feedback gegeben haben, auch für weitere Unternehmen und Kunden nutzen können.“ Dann wird es relativ schnell umgesetzt, mit einem agilen Organisationskonstrukt, ohne jetzt ein riesengroßes Pflichtenheft zu entwerfen.
Diese 3 Bereiche sind die wesentlichen Vorteile von Start-ups. Und am Ende des Tages braucht der Defense Sektor die Start-ups und nicht umgekehrt. Wir haben eher 80Prozent Use Cases aus dem zivilen Sektor, die im militärischen Kontext verwendet werden können. Natürlich gibt es spezielle Fälle, die nur im militärischen Kontext Sinn machen, aber ein großer Teil der Herausforderungen der Bundeswehr lassen sich mit Lösungen aus der zivilen Welt lösen. Und darum muss sich die Bundeswehr an Start-ups gewöhnen und nicht zwangsläufig umgekehrt.
Haben wir in Deutschland als Gesellschaft Innovation verlernt?
Ja, wir haben Innovation verlernt. Berücksichtigen wir Innovation in unserem alltäglichen Handeln? Definitiv nein. Und woran liegt das? Ein gewichtiger Grund ist sicherlich, dass wir keine Dringlichkeit empfinden etwas zu ändern. In Mitteleuropa geht es uns relativ gut, sogar sehr gut im Vergleich zu vielen anderen Ländern. Ich war selbst oft in Israel und ich weiß noch, als ich das erste Mal in Tel Aviv gelandet bin. Da sieht man im Flugzeug eine Landkarte und dann versteht man erst richtig, dass Israel von Nachbarn umzingelt ist, die das Land auslöschen wollen. Und dann wird einem klar, wie sehr Israel und seine Einwohner Druck empfinden. Wenn an fast jeder Ecke jemand mit einer Maschinenpistole steht und das Land ums Überleben kämpft, ist allen klar, dass man schnell und effizient agieren muss.
Ich glaube, in Deutschland zerreden wir sehr viel, wenn es um Innovation geht. Wir sollten teilweise weniger reden und einfach mal probieren.
Aber wenn man das tut, beobachte ich Folgendes. Ich veröffentliche etwas auf Twitter oder auf LinkedIn, nachdem ich mich Monate mit etwas beschäftigt habe. Zwei Minuten später kommt das erste Feedback nach dem Motto „Was sie da machen kann ich viel besser!“ Natürlich kann ich auch etwas übersehen haben, aber sich dann einfach hinzustellen und zu sagen, das ist doof und habt ihr das und das und das und das bedacht, das tut der Diskussionskultur und uns Innovatoren nicht gut. Und ich behaupte mal 50 Prozent der Menschen mögen, was wir tun. 25 Prozent sagen „Na ja, ich warte ab, bis das Ergebnis da ist, und dann entscheide ich, ob ich es gut finde.“ Und 25 Prozent wissen es eh immer und zu jedem Zeitpunkt besser. Es ist sehr anstrengend, wenn man sieht, wie sich meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter intensiv mit Dingen auseinandersetzen und dann jemand um die Ecke kommt und behauptet, er habe einen Fehler gefunden und es öffentlich schlecht macht. Am Ende entsteht nur eine sehr nervige Diskussion.
Wollen wir als Gesellschaft wirklich so debattieren und handeln? Ich glaube, dass das langfristig nicht funktionieren wird, weil es mittlerweile zu sehr an den Kräften zehrt. Ich kann damit persönlich umgehen. Aber ich kenne viele, die auf endlose, überkritische Debatten keine Lust haben und sich dann ein Stück weit abschotten. Und das führt letztlich zu weniger Innovation. Denn ein innovatives Ökosystem funktioniert am besten, wenn die Menschen, die erfolgreich gegründet haben, hier weiterhin leben wollen und vor allem auch Impulse in das Ökosystem zurückgeben, indem sie vielleicht in neue Start-ups investieren und ihre Erfahrungen teilen.
Social Media spielt in Auseinandersetzungen, etwa im arabischen Frühling und jetzt im Ukrainekrieg, eine große Rolle. Gleichzeitig hat Social Media, besonders der amerikanischen Technologieunternehmen, bei europäischen Politikern einen schlechten Leumund. Ist Social Media Segen oder Fluch?
Für mich als Mensch, der Teil der Gesellschaft und ein soziales Wesen ist, ist Social Media natürlich ein Segen, weil ich dadurch neue Freunde kennengelernt habe und meine Gedanken teilen kann. Und natürlich hat Social Media auch ein Stück weit die Nachrichtenproduktion demokratisiert. Ich bin 1982 geboren. Als Jugendlicher hatte ich auf einmal Zugang zu Informationen, die ich vorher nie bekommen hätte und konnte mir ein eigenes Bild machen und auch Dinge hinterfragen. Und ich glaube, wenn Politikerinnen oder Politiker Angst vor Social Media haben, dann geht es bei manchen auch teilweise um Angst vor Macht- oder Kontrollverlust. Früher konnten nur Journalisten Fragen stellen und heute kann jeder mitreden. Da passiert auch viel Schindluder, aber am Ende des Tages ist Social Media für die Menschheit durchaus ein Segen. Aber man muss aufpassen, es nicht zu übertreiben und sich selbst auch ein Limit setzen. Ich schalte Social Media regelmäßig ab, um mich zu konzentrieren und zu arbeiten. Ich kann jetzt nicht jeden Tag alle fünf Minuten auf Twitter sein und Tweets absetzen, denn ich habe auch noch was zu tun.
Scheinbar scheitern in Deutschland digitale Innovationen in der Verwaltung oft am Datenschutz oder Sicherheitsrichtlinien. Können wir uns in Deutschland so viele Bedenken noch leisten, ohne im internationalen Vergleich zu weit zurückzufallen? Wo sehen Sie da die wichtigsten Barrieren?
Also das Interessante ist ja, dass die DSGVO den Datenschutz europaweit harmonisieren sollte. Ich bin der Meinung, dass die Diskussion in Deutschland besonders heftig geführt wird. Besser wäre es, die Diskussion auf einer völlig sachlichen Ebene zu führen. Ist Datenschutz per se das Problem? Nein, das sind die handelnden Menschen. Ich glaube, was man damals falsch gemacht hat, war nicht die richtigen Tools bereitzustellen und nicht schlüssig zu kommunizieren. Man hatte auch ein Stück weit das falsche Ziel. Man wollte den großen Techkonzernen aus den USA zeigen, wo es lang geht. Das hat ja nicht funktioniert. Denn Facebook als Großorganisation hat natürlich die Mittel und die Möglichkeiten sich schnell anzupassen. Was ich mir wünschen würde, wäre ein bedarfsgerechter und skalierender Datenschutz, der hier und da vielleicht Ausnahmeregelungen festlegt für Start-ups und den Mittelstand. Und dann das alles besser kommunizieren und das rechtssichere Rüstzeug bereitstellen. Wir müssen höllisch aufpassen, dass wir nicht mit unseren Regeln hinterherhinken. Wir sehen es bei TikTok, wir sehen es bei Messenger Apps. Am Ende des Tages entscheidet die Funktion, die der Konsument haben will. Der Konsument möchte einfach eine Video-App mit Filtern benutzen und Videos an seine Freunde verteilen. Datenschutz steht da für ihn nicht im Vordergrund.
Erschwerend kommt hinzu, wenn ich als Manager mit einem Datenschutzbeauftragten spreche, dann bin ich diesem ein Stück weit ausgeliefert, weil er oder sie der Experte ist. Ich eben nicht. Und dann entsteht eine Diskussion, die derjenige, der sich nicht täglich mit Datenschutz beschäftigt, höchstwahrscheinlich verlieren wird. Und wenn der Datenschutzbeauftragte dann verinnerlicht, er sei der Gatekeeper, dann habe ich natürlich ein Problem. Gegen den werde ich nie ankommen können. Der wird seine vermeintlichen Risiken aufzählen und damit alles ersticken. Darum hat Datenschutz ein Imageproblem. Das Grundproblem könnte man lösen, wenn man mit guten Projekten vorangeht und sich das Mindset auf beiden Seiten ändert. Und nicht nur bei denen, die vermeintlich böse Dinge mit Daten tun wollen, sondern auch bei denen, die Daten schützen wollen.
Sehr geehrter Herr Weizenegger, wir danken Ihnen für das Interview und Ihre Einschätzung der Lage.
Das Interview führte für Lagebild Sicherheit Prof. Dr. Christian Schultz
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